Für den Appassimento werden gesunde Trauben geerntet und dann getrocknet

Appassimento-Verfahren: Die Magie der getrockneten Weintrauben

Du liebst italienischen Rotwein mit richtig viel Schmelz und Tiefe? Dann aufgepasst, denn heute tauchen wir in die faszinierende Welt des Appassimento ein – ein uraltes und geniales Verfahren, das einige der aufregendsten Tropfen Italiens hervorbringt. Es ist die Magie, die aus normalen Trauben ein konzentriertes Aromawunder macht.

Es ist ein ungewöhnlicher Anblick: Schrumpelige, fast schon wie Rosinen wirkende Trauben, die auf Gestellen in einem Dachboden liegen. Aber genau das ist das Geheimnis hinter einem der aufregendsten Weinprofile Italiens. Die Appassimento-Methode, ein uraltes Verfahren, verwandelt die Trauben in wahre Konzentrationsbomben und bildet damit die Basis für Weine, die mit einer unglaublichen Fülle und Komplexität überzeugen. Sie sind das Gegenteil von leicht und schlank; sie sind vollmundig, intensiv und unvergesslich. Trotz der weltweiten Tendenz zu leichteren, eleganteren Weinen hat die Nachfrage nach diesen kraftvollen Appassimento-Weinen deswegen auch nicht nachgelassen.

Der Begriff Appassimento leitet sich übrigens vom italienischen Verb „appassire“ ab, was so viel wie „verwelken“ bedeutet. Und genau darum geht es: Frisch geerntete, gesunde Trauben lässt man vorsichtig an der Luft trocknen, damit die Aromen und der Zuckergehalt im Saft konzentriert werden. Dabei verlieren die Beeren einen Großteil ihres ursprünglichen Wassergehalts, oft zwischen 30 und 50 Prozent. Wie viel Prozent genau es sein müssen, ist beim Appassimento an sich übrigens nicht genau vorgeschrieben – allerdings bei den verschiedenen Weinarten, bei denen die Methode zum Einsatz kommt. Für einen Amarone della Valpolicella DOCG (Denominazione di Origine Controllata e Garantita – geschützte Ursprungsbezeichnung) müssen die Trauben mindestens 100 Tage lang trocknen. In der Regel nehmen sich die Winzer:innen allerdings 140 Tage dafür Zeit.

Gesunde Trauben werden auf einer Matte getrocknet
Auf solchen Matten werden die Trauben gewöhnlich getrocknet. © Stefs Sight of the World/iStock

Appassimento: Altes Handwerk mit modernen Regeln

Obwohl das Verfahren auf den ersten Blick einfach erscheint, ist es ein filigraner Tanz zwischen Natur und Kontrolle. Nachdem die Trauben gelesen wurden – oft früh, um die natürliche Säure zu bewahren – breiten die Winzer:innen sie sorgfältig auf speziellen Gestellen, Matten aus Bambus oder Schilf oder in luftigen Holzkisten aus. Traditionell erfolgt das Trocknen auf Dachböden, sogenannten „fruttai“, die oft auf natürliche Weise belüftet werden, um Schimmelbildung zu verhindern.

Moderne Weingüter setzen auf Hightech-Lösungen mit kontrollierten Trocknungsräumen und Lüftungsanlagen, um Temperatur und Feuchtigkeit genau im Griff zu haben. Dies ermöglicht eine gleichmäßige Trocknung und schützt die Trauben vor unvorhersehbaren Witterungseinflüssen wie Regen oder Nebel. Das Ergebnis sind intensivere Aromen und eine dickflüssigere, zuckerhaltigere Maische, die eine langsame Gärung erfordert. Die Weine erhalten dadurch ihre samtige Textur und ein hohes Alterungspotenzial.

Apropos Gärung: Dass diese so langsam vonstatten geht, ist dem hohen Zuckergehalt in den getrockneten Trauben zu verdanken. Dieser sorgt auch dafür, dass die Gärung irgendwann stoppt, bevor der Zucker komplett in Alkohol umgewandelt wurde, weil die Hefepilze einfach übersättigt sind und absterben. Jedenfalls theoretisch. Denn es gibt tatsächlich eine Ausnahme. Und diese hängt sehr stark mit der historischen Entwicklung des Verfahrens zusammen.

Trauben in einem Holzgestell
Solche Holzgestelle sind für die Appassimento-Methode typisch. © eWakePhoto/iStock

Aus der Antike in die Flasche

Geschichtlich reicht die Appassimento-Methode weit zurück. Schon die Römer waren große Fans von Weinen aus getrockneten Trauben, wie der römische Naturforscher Plinius der Ältere berichtete. Ein besonders berühmter Vorläufer war der “vinum reticum”, ein kraftvoller, konzentrierter Wein aus der Gegend um Verona, dem heutigen Herzen der Appassimento-Produktion im Valpolicella-Gebiet in Venetien. Über Jahrhunderte hinweg waren diese Weine fast ausschließlich süß und galten als Luxusgut.

Der Zufall führte schließlich zur Entstehung des trockenen Klassikers, den wir heute kennen. Der Legende nach vergaß ein Kellermeister um 1930 ein Holzfass mit süßem Appassimento-Wein. Als er es wiederfand, war die Gärung wieder in Gang gekommen und hatte den gesamten Zucker verbraucht. So entstand der Amarone della Valpolicella, ein kraftvoller, komplexer und trockener Rotwein, der zum berühmtesten Appassimento-Wein der Welt avancierte. Das Besondere daran ist aber nicht nur der höchst intensive Geschmack, sondern auch sein erheblicher Alkoholgehalt. Rein vom physikalischen Ablauf kann ein Wein eigentlich nicht mehr als 15 Volumenprozent Alkohol haben. Denn dann sterben eben die Hefepilze ab. Weil beim Amarone aber eben diese zweite Gärung einsetzt, können bis zu 17 oder mehr Volumenprozent Alkohol erreicht werden.

Blick über die Weinberge im Valpolicella-Gebiet in Venetien
Hier im Valpolicella-Gebiet hat die Appassimento-Methode ihren Ursprung. © ArtMassa/iStock

Appassimento-Universum jenseits des Amarone

Während der Amarone della Valpolicella der unangefochtene Star ist, gibt es noch viele andere Weine, die nach diesem Prinzip entstehen. Ein naher Verwandter ist der Recioto della Valpolicella, ein traditioneller Süßwein. Bei ihm wird die Gärung absichtlich gestoppt, um die Süße und die intensiven Fruchtaromen zu bewahren. Es ist eine Spezialität, die auf der gleichen Traubenbasis wie der Amarone entsteht. Ein anderer bekannter Wein ist der Ripasso, der seine zweite Gärung auf den Tresterresten der Amarone-Produktion durchläuft und so eine einzigartige Brücke zwischen einem normalen Valpolicella und dem kraftvollen Amarone schlägt.

Appassimento ist aber längst nicht nur eine Sache des Valpolicella-Gebiets. In ganz Italien finden sich Weine, die auf ähnliche Weise hergestellt werden, wie der Vin Santo in der Toskana, der aus getrockneten Malvasia- und Trebbiano-Trauben entsteht. Auch außerhalb Italiens hat die Methode längst Fuß gefasst. In Frankreich kennt man beispielsweise den Vin de Paille. Selbst in Deutschland und Österreich werden Strohweine oder Schilfweine produziert, bei denen die Trauben auf Strohmatten trocknen. Wobei das Verfahren in Deutschland tatsächlich erst seit ein paar Jahren offiziell zugelassen ist. Dementsprechend selten sind diese Gewächse hier. In Österreich gehören Schilf- und Strohweine allerdings schon sehr lange zur Süßwein-Kultur. Besonders bekannt sind die süßen Schätze vom Neusiedlersee im Burgenland.

Trauben werden für einen Appassimento-Wein an der Luft getrocknet
Eher selten zu sehen: Trocknung an der frischen Luft. © Fyletto/iStock

Vorsicht: Passito ist nicht gleich Appassimento!

Nun gibt es ja viele Weine, die ähnlich vollmundig und komplex und alkoholstark wie die Appassimento-Gewächse sind. Die Rede ist hier von den Passito-Weinen. Beste Beispiele sind hier der Montefalco Sagrantino Passito aus Umbrien oder der Passito di Pantelleria aus dem Trentino. Zudem gibt es im Mainstream-Bereich erstaunlich viele Weine, die die Bezeichnung „Passito“ mit im Namen tragen. Jetzt könnte man meinen, das damit ebenfalls Appassimento-Tropfen gemeint sind. Aber das stimmt nicht so ganz. Ja, auch hier werden die Trauben getrocknet. Allerdings vor der Lese. Direkt am Rebstock. Dafür werden die Stile ein paar Tage bis zu ein paar Wochen vor der Lese abgeknickt. Dadurch unterbricht man die Wasser- und Nährstoffversorgung – und die Weinbeeren beginnen zu trocknen.

Und ja, dieses Verfahren ist ebenso mit großem Aufwand wie auch mit einem Risiko verbunden. Denn meistens geht das Abknicken händisch vonstatten. Und wenn es in der Zwischenzeit regnet, können die Trauben verfaulen. Was aber nichts daran ändert, dass das halt nicht das traditionelle Appassimento-Verfahren ist. Um sich bewusst davon abzuheben, hat das Valpolicella-Konsortium deswegen vor ein paar Jahren den Antrag auf den Weg gebracht, dass Appassimento UNESCO Weltkulturerbe wird. Noch ist dieses Gesuch nicht komplett durch, aber wir können davon ausgehen, dass der Antrag erfolgreich sein wird. Damit wird dann der Amarone della Valpolicella noch wertiger. Vor allem in der Vermarktung. Sprich: Wundere dich nicht, wenn der Amarone dann noch teurer wird. 😉

Sonderfall Doppio Passo

Ach, und noch etwas: Kennst du den Doppio Passo? Wahrscheinlich schon. Was mit einem einzelnen Primitivo aus Apulien begann, ist inzwischen eine eigenständige Marke mit vielen unterschiedlichen Weinen, die zu den meistverkauftesten in Deutschland zählen. Und ja, es ist ein reiner Industriewein, der mit seiner vollmundigen Schlichtheit bewusst die Massen ansprechen soll. Doch auch hier wird mit dem Namen Qualität wie Wertigkeit eines Appassimento-Weins suggeriert. Nur eben zu einem sehr viel kleineren Preis. Man kann von den Weinen halten, was man will, aber das ist tatsächlich Wein-Marketing in Perfektion.

Beim Appassimento verlieren die Trauben 50 Prozent an Wasser und Volumen
Traubentrocknung extrem. © Sebastiano Secondi/iStock

Blick in die Zukunft

Aber zurück zum Appassimento-Verfahren. Denn das ist nicht nur eine Hommage an die Vergangenheit, sondern auch eine Antwort auf die Herausforderungen der Gegenwart. Der Klimawandel beeinflusst die Weinwelt stark und stellt auch Winzer:innen vor neue Fragen. Während wärmere Jahre das Risiko von Pilzkrankheiten senken, müssen die Produzent:innen nun ein Gleichgewicht zwischen der Konzentration und der erwünschten Frische im Wein finden. Ein zu hoher Zuckergehalt in den Trauben kann die Gärung erschweren und zu übermäßig alkoholischen Weinen führen. Also falls das bei einem Amarone della Valpolicella überhaupt noch möglich ist. 😉

Viele Winzer:innen reagieren darauf, indem sie ihre Praktiken anpassen, sei es durch spätere Ernten, die von kühleren Temperaturen profitieren, oder durch den gezielten Einsatz von moderner Technik. Einige kehren auch zu traditionellen, naturnahen Methoden zurück, um die Kontrolle über den Prozess zu behalten. So bleibt Appassimento ein faszinierendes Phänomen: Eine uralte Technik, die dank Innovation und Kreativität auch in Zukunft für unvergessliche Weinerlebnisse sorgen wird. Welche Appassimento-Weine hast du bereits probiert und welche haben dich am meisten begeistert? 

Copyright Titelbild: © mythja/iStock

*Dieser Text wurde weder in Auftrag gegeben noch vergütet. Er erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und spiegelt ausschließlich meine persönliche Meinung wider. Gesetzte Links sind nicht kommerziell und dienen allein Service-Zwecken.

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