Bag-in-Box: Wein-Zukunft oder Dauer-Nische?
Statt “plopp”, wenn man den Weinkorken zieht, macht es höchstens zart “klick”, wenn man sich Wein zapft. Nämlich aus einer Bag-in-Box. Dass diese alternative Weinverpackung deutlich umweltschonender ist, dürfte klar sein. Trotzdem tut sich der Weinmarkt mit Bag-in-Boxes schwer. Aber warum eigentlich?
Seit Jahren heißt es innerhalb der Weinbranche selbst: Wir müssen nachhaltiger werden. Okay, einige sagen das vielleicht nur, weil sich das gerade so gehört. Man möchte eben dem Zeitgeist entsprechen, um modern zu wirken. Doch viele Weinmenschen meinen es tatsächlich so. Genau deswegen bewertet zum Beispiel Jancis Robinson keine Weine mehr, die in besonders schweren Weinflaschen daherkommen. Denn die Glasflasche ist in der Weinindustrie schließlich einer der großen CO₂-Treiber. Aus diesem Grund ist Pfalz-Winzer und Piwi-Pionier Ansgar Galler für eine seiner Weinlinien auf die Bierpfandflasche umgestiegen. Auch sind Weinmehrwegflaschen deswegen in aller Munde. Und dann gibt es ja auch noch Weinflaschen aus Papier oder Aluminium. Nicht zu vergessen: Die gute, alte Bag-in-Box.
Um genau die soll es an dieser Stelle mal etwas genauer gehen. Denn gefühlt tritt die Bag-in-Box als alternative Weinverpackung auf der Stelle. Jedenfalls hierzulande. In Skandinavien sieht das allerdings ganz anders aus, wie Anja Sistonen bestätigt: “In den skandinavischen Ländern Schweden, Finnland und Norwegen wird mit sehr gutem Beispiel vorausgegangen. Sie zeigen uns, dass Weintrinken aus einer BiB funktioniert und ganz normal ist. Die Menschen sind offen und weniger kritisch.” Anja Sistonen weiß, wovon sie spricht. Schließlich ist sie nicht nur mit einem Finnen verheiratet und dementsprechend oft in seinem Heimatland unterwegs, sondern sie ist auch die Gründerin von xbo®. Mit ihrem Start-up konzentriert sie sich auf die Vermarktung von Bio-Weinen in Bag-in-Boxes.
Bag-in-Box: Definition und Umwelt-Vorteile
Aber was ist denn jetzt eine Bag-in-Box überhaupt? Nicht selten setzen Konsumierende diese mit Tetra Pak gleich. Womit wir direkt bei der Assoziation mit billigem Discounter-Fusel wären. Was so natürlich nicht stimmt. Also, Bag-in-Box heißt übersetzt „Beutel in Schachtel“. Zudem wird der Begriff gerne mit BiB abgekürzt. Eine Bag-in-Box besteht aus einem Kunststoffbeutel mit integriertem Zapfhahn, der wiederum in einem Papierkarton steckt. Die Bezeichnung ist also wörtlich zu nehmen. Bag-in-Boxes gibt es in unterschiedlichen Größen. Vor ein paar Jahren waren drei Liter die kleinste Einheit. Inzwischen gibt es Bag-in-Boxes aber auch als 2,25 Liter-Größe.
Der eigentliche Clou der Bag-in-Box ist der innenliegende Beutel. Denn dieser wird unter Vakuum befüllt. Sprich: Beim Zapfen kommt kein Sauerstoff in den Beutel. Damit bleibt der Wein wochenlang haltbar. Das ist etwas, das man von einer angebrochenen Weinflasche wahrlich nicht behaupten kann. Dadurch relativiert sich dann auch die größere Verpackungseinheit.
Die Bag-in-Box hat der gemeinen Weinflasche aber vor allem in Sachen Nachhaltigkeit viel voraus. Denn eine BiB mit drei Litern Fassungsvermögen spart im Vergleich mit den entsprechenden Standard-Weinflaschen sage und schreibe 84 Prozent CO₂ ein. Und da sind die Einsparungen beim Transport (eine BiB ist nicht nur leichter, sondern lässt sich auch platzsparender stapeln) noch gar nicht mit eingerechnet! Wenn man mal überlegt, dass 45 Prozent der CO₂-Emission beim Wein allein auf die Verpackung entfällt, ist hier also tatsächlich das größte Einsparungspotenzial.
Ja, es gibt auch Schwachstellen
Warum also schreit nicht direkt die gesamte Weinwelt begeistert auf und füllt in Bag-in-Boxes ab? Nun, da wäre zum einen der Haken, dass es bei dieser Abfüllung immer wieder zu Komplikationen kommen kann. Nämlich immer dann, wenn versehentlich Sauerstoff mit reinkommt. Dadurch kann bei höheren Temperaturen eine zweite Gärung in die Gänge kommen. So entsteht CO₂, das dann nicht entweichen kann. Und schon bildet sich Kohlensäure. Die gute Nachricht: Das passiert aufgrund von optimierten Abfülltechniken nur noch recht selten.
Hinzu kommt, dass sich Bag-in-Boxes halt nicht für eine längere Lagerung eignen. Der Wein ist quasi trinkreif und sollte dementsprechend auch zeitnah genossen werden. Das macht die BiB für hochwertige Weine mit einem langen Leben gänzlich ungeeignet. Winzer Markus Schmachtenberger aus Franken fasst das gut zusammen: „Im Fine-Wine-Sektor ist BiB keine echte Alternative, da die ‚Beutel‘ eine zu hohe O²-Durchlässigkeit haben, auch wenn diese mit einer Sauerstoffsperre bedampft sind.“
Bag-in-Box: Zieren sich die Konsumierenden?
So schlüssig diese Aussage auch ist, darf man trotzdem nicht vergessen, dass die meisten Weine, die auf den Markt kommen, für einen zeitigen Genuss bestimmt sind. Sie sollen jung getrunken werden. Und sie machen über 90 Prozent aller Weine aus. Deswegen habe ich bei Markus Schmachtenberger mal nachgefragt, ob er sich denn vorstellen könnte, seine Gutsweine in Bag-in-Boxes anzubieten. Die Antwort war ernüchternd: „Damit würde ich an den Verbrauchern vorbei arbeiten. Diese wünschen in unserem Haus Flaschenware. Generell haben wir uns mit dem Thema BiB bereits intensiv auseinander gesetzt!“
Anja Sistonen kann die Zurückhaltung von Winzer:innen nur zu gut verstehen: “Leider sehe ich bei deutschen Weingütern kaum Ansätze, Wein in alternativen Verpackungen ins Programm aufzunehmen. Zweifel, Absatz- und Existenzängste stehen aktuell im Vordergrund und lassen für Innovationen keinen Spielraum.” Aber warum wird die Bag-in-Box von deutschen Verbraucher:innen so oft abgelehnt? “Generell sind alternative Weinverpackungen wie die Bag-in-Box in Deutschland noch nicht etabliert und bleiben somit erklärungsbedürftig. Der deutsche Markt ist sehr konservativ und was er nicht kennt, wird erstmal abgelehnt”, erklärt Anja Sistonen.
Weg mit den Vorurteilen!
Und dann ist da ja auch noch die deutsche Wein-”Kultur”, die immer wieder hochgehalten wird. Viele Konsument:innen haben ja bereits bei einem Wein mit Schraubverschluss statt Korken Qualitätsbedenken. Mal abgesehen, dass das “Plopp” des Korkens für viele Menschen anscheinend zum Weingenuss dazugehört. Eine Bag-in-Box ist dann aber noch um ein Vielfaches gewöhnungsbedürftiger als ein Schraubverschluss. Kommen wir also mal zu den gängigen Argumenten gegen die Bag-in-Box – und räumen diese mal aus dem Weg.
Bag-in-Box-Weine haben keine gute Qualität
Da hätten wir wieder das Tetra-Pak-Klischee! Liebe Leute, Bag-in-Box-Weine haben inzwischen durchaus eine gute bis sogar hervorragende Qualität. Klar, es soll immer noch Weinverkäufer:innen geben, die der Kundschaft vorgaukeln, dass eine besonders schwere Weinflasche ein Zeichen für hohe Qualität ist. Auf diesen Humbug fallen zum Glück nur noch wenige Menschen rein. Klar, wir reden hier eher von Guts- und Ortsweinen, wenn es um BiBs geht. Aber das ist ja nun echt mal keine Plörre. Ich würde mir trotzdem wünschen, dass renommierte und vor allem der breiten Masse bekannte Winzer:innen sich endlich auch mal trauen, einen trinkreifen Lagenwein in Bag-in-Boxes abfüllen. Damit dieses Vorurteil hier endlich mal durchbrochen wird.
Sich seinen Wein zu zapfen statt ihn in ein Glas zu füllen, ist kulturlos
Ähm, trinkst du direkt aus der Flasche? Würdest du mit offenem Mund unterm Zapfhahn kauern? Ich hoffe doch, dass beide Fragen mit einem Nein beantwortet werden. Ich verrate dir ein kleines Geheimnis: Ein Weinglas kann weder denken noch fühlen. Ihm ist es also total egal, aus welcher Verpackung der Wein kommt. Was ich damit sagen will: Es kommt auf den Inhalt an. Nicht auf die Verpackung.
Bag-in-Boxes sind hässlich
Also mal ganz davon abgesehen, dass BiBs inzwischen in erstaunlich schicken Designs daherkommen können: So what? Dafür hat der Weingott Dionysos die Weinkaraffen erfunden! Zapf dir halt die Menge, die du genießen möchtest, in eine Karaffe deiner Wahl und stell diese dann auf den Tisch. Problem gelöst. Bei Weißweinen hat das sogar noch den Vorteil, dass du die Karaffe wie eine Weinflasche am Tisch kühlen kannst.
Weißweine aus Bag-in-Boxes lassen sich nicht gut einkühlen
Vor ein paar Jahren hätte ich dieses Argument sogar noch gelten lassen. Inzwischen gibt es aber Bag-in-Boxes mit einem Fassungsvermögen von 2,25 Litern. Und diese passen genau in die Tür eines handelsüblichen Kühlschranks. Okay, inzwischen sind auch fancy Verpackungsformen wie etwa zylindrische BiBs auf dem Markt. Am besten noch mit einer Kordel dran, damit man (frau) sie sich wie ein Handtäschchen um die Schulter hängen kann. So etwas braucht kein Mensch. Das ist nicht nur klischeehaft und sinnbefreit, sondern vor allem unpraktisch.
Solche Auswüchse sind allerdings die Ausnahme, nicht die Regel. Und selbst wenn eine Bag-in-Box mit einem Fassungsvermögen von drei, fünf oder mehr Litern daherkommt, kann man sich immer noch eine Karaffe zapfen und diese dann einkühlen. Aus meiner Instagram-Community kam von Steven zudem der Hinweis, dass man den BiB-Karton auch einfach öffnen und dann Kühlakkus an den Weinschlauch packen kann. Zack, der Wein bleibt kalt. Ein sehr nützlicher Tipp.
Bag-in-Boxes fördern übermäßigen Alkoholkonsum
Meiner Meinung nach ist das Gegenteil der Fall. Wenn in einer 0,75-Liter-Flasche noch ein Gläschen drin ist, dann ist man eher geneigt, dieses einfach noch zu trinken, bevor der Wein “schlecht” wird. Oder weil man wegen eines Glases jetzt nicht die Flasche irgendwo stehen haben möchte. Aus einer Bag-in-Box kann man konsumgenau zapfen – und hat damit den eigenen Alkoholverbrauch irgendwie besser im Blick.
Bag-in-Boxes sind einfach wahnsinnig unpraktisch
Ach ja? Sag das mal einem Camper oder einem Segler. Diese Menschen machen den Karton einfach ab, beschriften den Weinplastikbeutel mit einem Edding – und haben im Urlaub platzsparend ihren Lieblingswein dabei. Ich persönlich setze aber auch bei größeren Feiern und Festlichkeiten gerne auf diverse BiBs, um nicht ständig Flaschen aufziehen zu müssen. Und wenn man den Wein dann auch noch in schönen (und vor allem einheitlichen) Karaffen serviert, sieht es auf dem Tisch auch nicht so unruhig aus. Mal ganz davon abgesehen, dass man sich den Gang zum Altglascontainer erspart. In der Gastronomie sehe ich BiBs indes nicht. Für diesen Bereich sind Kegs ideal. Aber das ist wieder ein anderes Thema …
Für mehr BiBs im Leben
Falls dir noch mehr Argumente gegen die Bag-in-Box einfallen, dann lass es mich bitte wissen. Ich entkräfte sie gerne. 😉 Aber jetzt mal ernsthaft: Natürlich haben BiBs auch Grenzen. Sie eignen sich nicht für eine lange Lagerung. Und wer sich ausschließlich im Fine-Wine-Bereich bewegt, der wird mit ihnen auch nicht glücklich. Aber im Bereich der Gutsweine sind sie nun einmal eine tolle Verpackungsalternative, der man echt mal eine Chance geben sollte, wenn man kein Weinsnob sein will.
Ich bin jedenfalls dankbar, dass die Weinqualität für Bag-in-Boxes in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen ist. Und dass immer mehr Menschen inzwischen die Vorteile erkennen, statt sich an längst überholten Vorurteilen festzuhalten. Wenn man schon nach Nachhaltigkeit schreit, dann sollte man sich auch auf sie einlassen können. 😉
Copyright Titelbild: © nk/Bottled Grapes
*Dieser Text wurde weder beauftragt noch vergütet. Er erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und spiegelt ausschließlich meine eigene Meinung wider. Gesetzte Links sind nicht kommerziell, sondern dienen alleine Service-Zwecken.
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