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Lost in Translation: Die Weine namens Brutal!!!

Gut Oggau hat einen. Christian Tschida auch. Und noch etwa zwanzig andere Winzer, die für ihre Naturweine bekannt sind. Wovon die Rede ist? Von Brutal!!! Mit drei Ausrufezeichen, bitteschön. Weil es der Name so will. Die Brutal!!!-Weine erobern seit einigen Jahren die Welt, die Geschichte dahinter ist ebenso interessant wie verworren. Höchste Zeit, sie mal etwas aufzudröseln.

Hört man „Brutal“ gilt der erste Gedanke eines Weinliebhabers wahrscheinlich der gleichnamigen Bar in Barcelona, die der weltweite Hotspot für Naturweine schlechthin ist. Wird in dieser Bar dann aber unter den Kennern der Szene „Brutal!!!“ geflüstert, ist meist nicht die Bar selbst gemeint, sondern ganz spezielle Weine von unterschiedlichen Winzern, die unter dem Brutal!!!-Label für Furore sorgen. Eine Furore, die 2010 in Südfrankreich ihren Anfang nahm.

Damals reisten nämlich die beiden dänischen Weinhändler Sune Rosforth und Henrik Sehested mit den beiden katalanischen Winzern Laureano Serres und Joan Ramon Escoda durch eben jenes Südfrankreich. Es war eine feuchtfröhliche Tour, denn die Winzer dachten nicht daran, auch nur einen Naturweintropfen, der ihnen verkostend in die Gläser kam, auszuspucken. Die beiden Händler zogen nach. Ein Wein war besser als der nächste, und schnell konnte man immer öfter die beiden Winzer „Brutal!!!“ rufen hören – ein Begriff aus dem Katalanischen, der soviel wie „außergewöhnlich gut“ oder meinetwegen auch „sehr geil“ bedeutet.

Von der Enttäuschung zur Idee einer Weinbewegung

Irgendwann kam das Vierergespann beim Winzer Anthony Tortul an, der nur bedingt gut Spanisch und erst recht keinen katalanischen Dialekt sprach. Begeistert stürzte sich die Runde auf Tortuls Naturweine, die „Brutal!!!“-Rufdichte wurde auf ein neues Rekordlevel gehoben. Der Franzose, der seinerseits dachte, dass die vier Gäste sich über seine Weine lustig machen und sie für Müll halten würden, war angesäuert. Trotzdem ging es noch mit ihnen zusammen essen. Und machte da am Tisch seiner Enttäuschung Luft. Ob seine Weine denn wirklich so brutal schlecht seien, fragte er. Die Winzer und Händler guckten erst erstaunt, dann ahnend und schließlich wissend. Da war eindeutig bei der Übersetzung etwas verloren gegangen!

Schnell klärten sie Tortul auf, was es mit Brutal!!! auf sich hat. Und steckten den Winzer kurzerhand mit ihrer Begeisterung und ihrem Wort an. Zur Versöhnung wurden bei Tortul weitere Flaschen geleert. Was dann geschah, liegt leider etwas im Rausch verborgen, denn Händler und Winzer haben da unterschiedliche Erinnerungen. Fest steht jedoch, dass sich Tortul noch in der selben Nacht sturzbesoffen an seinen Rechner setzte und ein Etikett entwarf: auf schwarzem Grund prankte in gelben Lettern „Brutal!!!“ darauf. Flankiert von roten Akzenten und dem Sensemann, der mit seiner Sichel dem SO2-Label an den Kragen ging. Die Begeisterung in der feuchtfröhlichen Runde war groß. Brutal!!!

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Der Brutal!!! von Gut Oggau ©Bottled Grapes

Was einen Brutal!!! erst zu einem Brutal!!! macht

Als am nächsten Morgen der schlimmste Kater überwunden war, guckten sie sich das Etikett noch einmal an, fanden es nach wie vor toll. Und dachten nach. Naturwein war damals schon im Mainstream angekommen. Viele konventionell arbeitende Winzer machten einen, um auf der hippen Welle mitreiten zu können. Dadurch wurde der Grundgedanke aber irgendwie verwässert. Naturwein ist eine Einstellung, keine Marketingmasche. Warum also nicht eine neue Naturweinbewegung, bei der jeder mitmachen kann, wenn die Kriterien erfüllt werden?

Gevatter Tod auf dem Etikett gibt den Ton an: der Wein darf nicht geschwefelt werden. Damit aber nicht genug! Null Intervention! Weder im Wingert noch im Keller! Keine Schönung, keine Filtration. Pure as pure can be. Und dann soll es bitte ein experimenteller Wein sein. Was nicht bedeutet, dass es der „abgefahrenste“ Wein eines Winzers sein muss. Aber eben der experimentellste, bei dem vielleicht sogar ein wenig schief gegangen ist, sodass er einen kleinen Makel hat, mit dem er seine eigene Schönheit unterstützt. Und nein, mit „Makel“ ist jetzt nicht die Resterampe gemeint, von der man den Wein holt, um doch noch ein paar Euro mit ihm zu verdienen. Auch wenn Makel gesagt wurde, könnt ihr das Wort einfach durch den Begriff Charakter ersetzen.

Brutal!!! around the world

So ward also die Idee zu Brutal!! geboren. Seitdem kann sich jeder Winzer, dessen Wein diese Bedingungen erfüllt, das Etikett für selbigen nehmen. Und es wohl auch bedingt frei umwandeln. Open Source und so. Gut Oggau etwa verzichtet auf den schwarzen Hintergrund. Und Christian Tschida ist der einzige Winzer, der seinen Namen vorne mit auf das Etikett drucken darf. Wer das allerdings so entschieden bzw. erlaubt hat, ist mir etwas unklar, denn immerhin ist Brutal!!! ja keine offizielle Vereinigung. Es gibt keinen gemeinsamen Handel, kein gemeinsames Marketing, keine allgemeine Website. Dementsprechend schwierig ist es, an Informationen zu kommen.

Neben Gut Oggau und Christian Tschida (beide übrigens im Burgenland ansässig – wenn auch auf unterschiedlichen Seiten des Neusiedler Sees) gibt es von etwa 20 weiteren Winzern Brutal!!!-Weine. Unter ihnen etwa Mendall, Microbio, Borries Jefféries und Piroutte. Eine Gesamtliste konnte ich leider nicht finden. Ich persönlich bin sehr froh (und auch ein klein wenig stolz), dass ich unlängst den Brutal!!! von Gut Oggau ergattern konnte. Es ist nämlich auch nicht gerade einfach, an diese Weine heranzukommen, denn eine weitere Brutal!!!-Bedingung ist die Limitierung. Pro Wein und Jahrgang darf nur die Menge eines kleinen Holzfasses bzw. maximal 200 Flaschen gemacht werden (ich schreibe jetzt mal bewusst nichts von vinifizieren und so ^^). Und weil die Brutal!!!-Weine inzwischen kein Insider-Tipp mehr sind, sind sie halt auch immer ratzfatz weg – jedenfalls von den Kultweingütern. Man muss jetzt wahrlich kein Fan von solch experimentellen Weinen sein, aber interessant ist die Geschichte allemal.

*Dieser Text spiegelt meine persönliche Meinung wider und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

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6 Kommentare

  1. Von den brutalen Weinen hab‘ ich bis jetzt leider noch keinen probiert. Ich hab‘ zwar schon einiges von den angesprochenen Gütern Christian Tschida und Gut Oggau im Glas gehabt bzw. hab‘ davon auch einiges im Keller, aber die Brutal-Editionen sind auch nicht soo günstig, als daß ich sie mir so ohne weiteres mal so zum Spaß blind besorge. Vor allem auch deshalb, weil die Weine doch extrem stark polarisieren, ich kann mich an einen der Jahrgänge von Gut Oggau erinnern, der sogar von Seiten eines Weinfreaks, der durchaus auf recht schräge Sachen steht, als untrinkbar eingestuft wurde. Wer sowas herstellt, der riskiert natürlich auch, daß da mal was in die Hose geht, gleißendes Licht und schwarzes Loch stehen da recht nah beieinander. Aber vielleicht trau‘ ich mich ja doch irgendwann mal, wenn ich mal wieder die Wände meines Kellers durchschimmern sehe und die Novinophobie akut wird…

    1. Dann also nie. 😉 Ich kenne es ja von mir selbst: irgendwie werden es immer mehr Flaschen. Dabei trinke ich doch schon fleißig Altbestände weg. 😉 Ansonsten kann ich gerade nur kräftig zustimmend nicken. Das Risiko kauft man mit ein. Können tolle Weine sein, können aber auch direkt im Ausguss landen. Genie und Wahnsinn liegen bekanntlich dicht beieinander. Und der Preis … es gibt Weine von Gut Oggau, die sind erheblich teurer. Aber es stimmt schon, für so ein Genussexperiment kann man tiefer in die Tasche greifen, muss es aber wahrlich nicht. Bei mir hat die Neugierde gesiegt. Und ein wenig auch der Jagdtrieb. Gerade weil die Flaschen immer so schnell ausverkauft sind. 🙂

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