Kellermeister der Cantina Terlan prüft einen Wein im Fasskeller

Cantina Terlan: Langlebige Weine aus Südtirol

Dass Genossenschaften in Italien einen ganz anderen Stellenwert haben und einen viel besseren Ruf genießen als in Deutschland, ist vor allem der Cantina Terlan zu verdanken. Hier keltert man seit 129 Jahren charaktervolle Weine.

Wenn man den Erfolg der Cantina Terlan verstehen möchte, beginnt man am besten direkt am Anfang. Also im Jahr 1893. Damals herrschte in Südtirol bittere Armut. Die Region lebte von der Landwirtschaft. Aber die Menschen konnten sich davon kaum ernähren. Denn es waren die Großbetriebe, die die Landwirtschaft fest in der Hand hatten. Preis- und Lohndumping und leere Familienkassen waren ebenso normal wie Schwielen an den Händen und sorgenvolle Gemüter. Zukunftsperspektiven? Nicht in Südtirol! Bevor wir uns jetzt aber für etwas Hoffnung an das linke Ufer der Etsch in den Ort Terlan begeben, richten wir unsere Aufmerksamkeit erst einmal ans rechte Ufer des Flusses zum fünf Kilometer entfernten Andrian.

Auch hier regierten Hunger und Armut, die mit ihrer Gegenwart eine Zukunft quasi unmöglich machten. Aber es gab in Adrian auch einen tatkräftigen Pfarrer, der im Frühjahr 1893 die Weinbauern des Ortes um sich versammelte und sie dazu brachte, den Großbetrieben gemeinsam die Stirn zu bieten. Gemeinsam stark sein und dafür eine Genossenschaft gründen – das war die Devise. Gesagt, getan. Es war die Geburtsstunde der Cantina Andrian, der ersten Kellerei in Südtirol. Womit wir jetzt endgültig nach Terlan zurückkehren. Denn dort ließen sich Weinbauern von dem Wagemut ihrer fünf Kilometer entfernten Nachbarn inspirieren. Nur wenige Monate später, nämlich im Herbst 1893, gründeten 24 Kleinwinzer gemeinsam die Cantina Terlan.

Zwei Männer lesen von Hand Trauben in einem Weingarten in Südtirol
Nur perfekte Trauben kommen in den Weinkeller. © Cantina Terlan

Bodenschatz der Cantina Terlan

Nun könnte man meinen, dass sich die Genossenschaften dank der Nähe zueinander ordentlich Konkurrenz machten. Doch dem war nicht so. Denn tatsächlich produzierten beide Kellereien von Anfang an höchst unterschiedliche Weine. Zu verdanken war das vor allem den Böden, den Ausrichtungen der Weinberge sowie dem Rebsortenspiegel. In Andrian dominiert Kalk, in Terlan Porphyr – also vulkanischer Boden. Während rechts der Etsch die Reben nach Osten und Süden ausgerichtet sind, blicken sie am linken Ufer gen Westen und Süden. Die Cantina Andrian fokussierte sich auf rote Trauben, während die Cantina Terlan ihren Schwerpunkt von Anfang an auf die weißen Reben legte. Heutzutage wird Südtirol von Weißweinen dominiert, damals war das aber noch eine echte Rarität.

An der Dominanz der weißen Rebsorten hat sich bis heute bei der Cantina Terlan nichts geändert. Nach wie vor besteht das Portfolio aus 70 Prozent Weißweinen. Was uns direkt zu einer weiteren Seltenheit bringt. Denn nach der Gründung im Jahr 1893 war die “Terlaner Cuvée” der erste Wein, den die Genossenschaft auf den Markt brachte. Ein Wein, der auch heute noch die Basis der Cantina Terlan ausmacht. Der einzige Unterschied: früher war der Wein, wie vor der Reblauskatastrophe eben so üblich, ein Gemischter Satz, heute indes ein bewusst komponierter Blend. Und der besteht zu 60 Prozent aus Weißburgunder, 30 Prozent Chardonnay und 10 Prozent Sauvignon Blanc.

Letztere Rebsorte gab es einst noch nicht in Südtirol. Weißburgunder und Chardonnay zwar schon, doch beide Trauben wurden damals noch nicht voneinander unterschieden. Was sich indes nicht geändert hat: Handlese ist Pflicht. Ebenso ein langes Hefelager, damit der Wein seinen Charakter entfalten kann. Im Hier und Jetzt brilliert die “Terlaner Cuvée” mit Anklängen von grünem Apfel und weißem Pfirsich, etwas Minze und Melisse. Am Gaumen saftig und elegant zugleich, mit einem zauberhaften Wechselspiel von Frische und mineralischen Noten. Und das soll die Basis sein? Eine echte Ansage!

Rötlicher und steiniger Boden rund um eine alte Weinrebe
Porphyr pur. © Cantina Terlan

Cantina Terlan: Legenden im Weinarchiv

Diese enorm hohe Güte, die man bereits im Einstiegslevel findet, kommt natürlich nicht von ungefähr. Was uns aber erst einmal zur Frage bringt, wie so eine Kellerei eigentlich organisiert ist. Generell gibt es einen Obmann und einen Verwaltungsrat. Und natürlich den Kellermeister. Letzterer bestimmt die Ausrichtung und die Stilistik der Weine. Die Winzer der Genossenschaft bewirtschaften ihre Weingärten nach gewissen Vorgaben und verkaufen dann ihre Traube an die Kellerei. Der Preis orientiert sich dann in der Regel am Oechslegehalt. Sprich: je höher der Zuckerwert, desto mehr Geld gibt es.

Genau das macht man bei der Cantina Terlan aber nicht! Jedenfalls jetzt nicht mehr. Natürlich gab es diverse Findungsphasen. Wert auf Qualität wurde indes schon von Beginn an gelegt. In den 1960er-Jahren fing so etwa der damalige Kellermeister Sebastian Stocker damit an, unterschiedliche Rebflächen miteinander zu vergleichen. Doch die Zeit für eine konsequente Kategorisierung war damals noch nicht ganz reif. Stocker glaubte aber auch so an die extreme Langlebigkeit der Weine. Heimlich begann er, immer mal ein paar Flaschen wegzulegen, um später zeigen zu können, dass die Weine auch noch in zehn oder zwanzig Jahren frisch und höchst lebendig sind. Inzwischen ist dieses Weinarchiv mit Jahrgängen bis 1955 zurück, eine echte Legende.

Historische Aufnahme von Sebastian Stocker im Keller der Cantina Terlan
In memoriam: Kellermeister Sebastian Stocker. © Cantina Terlan

Generationswechsel in der Kellerei

Auch die Rarity-Weine gehen auf Sebastian Stocker, der 2017 verstarb, zurück. Es sind Weine in kleiner Stückzahl, die zunächst ein Jahr im Holz ausgebaut wurden, bevor sie für zehn, zwanzig oder gar dreißig Jahre in Edelstahldrucktanks auf der Feinhefe ruhen. Diese Weine bestechen durch eine ungeheure Komplexität und einer beeindruckenden Frische. Sie zeigen, wie langlebig die Gewächse der Cantina Terlan tatsächlich sind.

In den 1990er-Jahren zündete man dann die nächste Qualitätsoffensive. Die Winzer der Genossenschaft bekamen mehr Vorgaben, wann sie was im Weingarten zu erledigen haben. Das passte natürlich nicht allen Weinbauern. Es kam zu so manchem Austritt. Warum sollte man sich mehr Arbeit machen, wenn der Erfolg noch weit entfernt in den Sternen stand? Doch die Cantina Terlan glaubte an ihre Vision und zog die hohen Anforderungen durch. Am Ende dieses Prozesses stieß Rudi Kofler zum Team. 1999 fing er als Assistent des Kellermeisters in Terlan an. Als dieser 2002 in den Ruhestand ging, übernahm Kofler die Verantwortung. Und führte direkt ein paar Änderungen ein. Er verbot den Einsatz von Herbiziden in den Weingärten und führte ein rigides Pflanzenschutzprogramm ein. Er war dann auch derjenige, der sich das qualitätsorientierte Auszahlungssystem für die Weinbauern erdachte.

Klaus Gasser und Rudi Kofler von der Cantina Terlan in Südtirol
Vertriebsleiter Klaus Gasser (l.) und Kellermeister Rudi Kofler. © Cantina Terlan

Mehrarbeit, die sich lohnt

Wie aber kann man Qualität definieren, wenn nicht über den Zuckergehalt? Ganz einfach: über die Lage. In einem Mammutprojekt definierte Rudi Kofler jede einzelne Parzelle der Cantina Terlan. Wo wächst welche Rebsorte? Welche Qualität kann dort maximal entstehen? Und für welchen Wein eignet sie sich? Denn das ist letztlich der große Unterschied. Die Weinbauern wissen ganz genau, aus welcher ihrer Parzellen später welcher Wein entsteht. Ein damals einmaliges Vorgehen! Und das hat Rudi Kofler bis heute beibehalten. Zusammen mit dem Agronom Simon Kompatscher hat er jede noch so kleine Parzelle genau kategorisiert.

Kompatscher hat zudem für jeden Hektar Rebfläche einen detaillierten Bewirtschaftungsplan erstellt, an den sich alle Weinbauern akribisch zu halten haben. Bestes Beispiel ist da etwa der Weißburgunder. Um hier die gewünschte Qualität lesen zu können, müssen alle Trauben zwingend im Reifeverlauf manuell halbiert werden. Ein enormes Plus an Mehrarbeit, keine Frage. Andererseits erhalten die Genossenschaftsmitglieder aber auch so Traubenpreise, die weit über dem üblichen Markt liegen. Kein Wunder also, dass die Kellerei im Laufe der Zeit kontinuierlich gewachsen sind. Inzwischen zählt die Cantina Terlan 160 Mitglieder, die insgesamt 190 Hektar Rebfläche bewirtschaften. Und welche Weine aus diesen Flächen hervorgehen, dem widmen wir uns jetzt.

Weinbauern der Cantina Terlan bei der Handlese von weißen Trauben
Hier werden gerade die Weißburgunder-Trauben der Lage Vorberg gelesen. © Cantina Terlan

Einstieg in die Weinwelt der Cantina Terlan

Die Basis der Cantina Terlan bildet die sogenannte Tradition-Linie. Ob nun Weißburgunder, Chardonnay, Pinot Grigio, Gewürztraminer oder Müller-Thurgau – sie alle sind sortentypische Jahrgangsweine mit etwas mehr Fruchtigkeit. Ihnen allen mangelt es aber auch nicht an Tiefe, Dichte und Komplexität sowie einer gewissen Stoffigkeit. Denn genau diese vier Säulen machen letztlich die Stilistik der Cantina Terlan aus. Das darf man auch gerne schon im Einstiegslevel schmecken.

Das Herzstück bildet die Selection-Linie. Die Trauben stammen ausschließlich aus dem Terlaner DOC-Gebiet, die dann im großen Holzfass und im Edelstahltank vinifiziert werden. Die Vorberg Weißburgunder Riserva der Linie habe ich ja bereits an anderer Stelle genauer vorgestellt. Auch die “Terlaner Cuvée” ist eine solche Selection.

Deren Weiterführung ist die Riserva “Nova Domus”. Wie bei einer Riserva üblich, folgen dem 12-monatigen Ausbau auf der Hefe noch 12 weitere Monate Flaschenreife. Dadurch ist “Nova Domus” (auch hier finden sich 60 Prozent Weißburgunder, 30 Prozent Chardonnay und 10 Prozent Sauvignon Blanc) nochmal um einiges tiefgründiger und komplexer. Aprikosen, Mandarinen, Honigmelone, Maracuja und Passionsfrucht finden sich hier ebenso wie eine kraftvolle Struktur, die durch eine herrlich salzig-mineralische Spannung komplettiert wird.

Weinarchiv der Cantina Terlan in Südtirol
Das Weinarchiv geht bis ins Jahr 1955 zurück. © Cantina Terlan

Sauvignon Blanc im Fokus

Obwohl es vor allem die Weißburgunder-Gewächse sind, mit denen sich die Cantina Terlan einen Namen gemacht hat, haben es mir auch die Sauvignon-Blanc-Weine “Winkl” und “Quarz” sehr angetan, die ebenfalls zur Selection-Linie gehören. “Winkl” ist eher auf der fruchtigen Seite. So weit man das bei den Weinen der Genossenschaft so sagen kann. Denn die Primärfrucht steht hier ja per se nicht im Vordergrund. Wer also einen exotischen Fruchtkorb à la Cloudy Bay erwartet, der könnte überrascht sein. Ja, auch hier findet man Stachelbeeren und Passionsfrucht. Aber eben noch mehr Mandarinen, Holunderblüten und Minze. Dazu dann noch der steinige Charakter und der zarte Schmelz am Gaumen. Himmel, was für ein Weltengänger! Als wären hier das Beste aus Neuseeland und der Loire miteinander ins Bett gegangen und hätten ein Kind namens “Winkl” gezeugt. Schon sehr beeindruckend.

Beim Sauvignon Blanc “Quarz” ist der Name Programm. Denn die Reben wachsen auf Quarzporphyr. Und ja, das kann man schmecken. Denn eine feingliedrige Mineralität umrahmt hier konsequent die fruchtigen Anklänge von Mango, Papaya und Zitronengras. Dazu dann noch etwas Melisse, Minze und grüner Tee sowie eine feine Feuersteinnote. Am Gaumen ist dieser Wein eine Wucht aus Fülle und Kraft, die zugleich aber höchst filigran daherkommt. Was für ein fantastischer Kontrast!

Mann erntet Weintrauben mit der Hand
Hier werden die Sauvignon-Blanc-Trauben für den „Quarz“ gelesen. © Cantina Terlan

Spitzengewächse der Cantina Terlan

An der Qualitätsspitze der Cantina Terlan stehen dann zwei Weine. Den “Rarity”, der extra lange auf der Feinhefe liegt und mit dem sich der Kellermeister Sebastian Stocker einst ein vinophiles Denkmal in der Geschichte der Genossenschaft setzte, habe ich ja bereits erwähnt. Mit der “Terlaner I Grande Cuvée” hat es ihm der derzeitige Kellermeister Rudi Kofler gleichgetan. Drei Jahre hat er getüftelt, bis er die Parzellen mit den besten Trauben individualisiert hatte, aus denen er den Prestigewein auf dem gewünschten Niveau keltern konnte.

Für das Gewächs griff er auf das bekannte Dreigestirn Weißburgunder, Chardonnay und Sauvignon Blanc zurück. Wie es sich für eine Spitzencuvée in limitierter Auflage gehört, verwendet Kofler hier ausschließlich die besten Trauben aus den besten Lagen. Und nein, das ist kein reines Marketing-Geklapper. Denn welcher Genossenschaftswein hat denn bitte schon einmal 100 Punkte vom Falstaff-Magazin erhalten? Nun dem 2016er der “Terlaner I Grande Cuvée” ist das gelungen! Was aber nichts daran ändert, dass auch alle anderen Weine der Cantina Terlan dank der rigiden Qualitätsoffensive echte Erlebnisse – und ideale Speisenbegleiter – sind. Das Prinzip der Genossenschaft wurde hier im Laufe der Jahrzehnte ganz eindeutig auf ein völlig neues Level gehoben.

Copyright Titelbild: © Cantina Terlan

*Dieser Text wurde von der Cantina Terlan weder beauftragt noch vergütet und spiegelt lediglich meine persönliche Meinung wider. Gesetzte Links sind nicht kommerziell, sondern dienen ausschließlich Service-Zwecken.

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