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Ein Weintrinkerleben im Wandel: Wenn der Lieblingswein plötzlich nicht mehr schmeckt

Heute geht es hier mal ein wenig persönlicher zu. Ich bin mir aber sicher, dass viele von euch Weinliebhabern auch schon mindestens einmal mit diesem Problem zu tun hatten: euch schmeckt ein Wein. Sehr sogar. Ihr nennt ihn vielleicht sogar euren Lieblingswein (wenn es so etwas denn überhaupt gibt). Ihr probiert ihn eine zeitlang nicht. Und plötzlich könnt ihr nichts mehr mit ihm anfangen.

Genau das ist mir neulich passiert. Ausgerechnet mit dem Wein, der meine Rebsaftleidenschaft vor ein paar Jahren ausgelöst hat. Eine von diesen kalifornischen Kult-Cuvées von einem der von Parker hochgehypten jungen Starwinzern. Um welchen Wein es sich genau handelt, ist eigentlich an dieser Stelle schnurzpiepegal, denn das Prinzip der Weintrinkerentwicklung ist universell anwendbar.

Also, da ist dieser eine Wein, der das Herz höher schlagen lässt, es ganz weit öffnet und dem es dabei noch gelingt, die Seele jubilieren zu lassen. Der Wein, der den Startschuss gibt. Fortan fließen viel Zeit und Weine den Rachen herunter. Immer mal wieder greift man zu der Initialzündung, findet sie nach wie vor gut – und verkostet sich weiter durch das nie enden wollende Weinreich. Und dann passiert es. Man lässt los, öffnet sich neuen Richtungen und Stilen; wird noch neugieriger; reibt sich an Weinen, lernt von ihnen – und wächst an ihnen. Plötzlich ändert sich das Geschmacksprofil. Zumindest war das bei mir so.

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Viele Weinliebhaber kennen ihn, den einen Wein, mit dem alles begann. ©markusspiske/Pixabay

Horizonterweiterung mit einem Spanier

Früher, ganz am Anfang, ja, da liebte ich die fetten Kalifornier. Vanille und ein echt heftiger marmeladiger Touch? Kein Problem! Immer her damit! Mit spanischen und französischen Rotweinen hatte ich indes so meine Probleme. Während die einen mir zu ruppig waren, fand ich die anderen in ihrer Feinheit einfach nur … ich traue es mich kaum zu schreiben … aber ja, ich fand sie langweilig. Das war alles natürlich reine Anfängerarroganz. Ich trank ausschließlich, was ich kannte – und das schmeckte mir dann natürlich auch. Was nicht schmeckte, musste auch nicht bekannt sein. Ich gab mich weingewandt, bediente dabei aber eigentlich nur ein Klischee.

Das hätte munter bis zum Sterbebett so weitergehen können. Wenn da nicht dieser andere Wein gewesen wäre. Dieser Spanier, der mir mal quasi ins Glas gezwungen wurde. Geschmeckt hat er mir nicht. So gar nicht. Trotzdem konnte ich aber seine Größe erkennen. Zum ersten Mal sinnierte ich über einen Wein, öffnete mich einer unbekannten Richtung, versuchte, sie zu verstehen. Was für eine große, große Freude. Mit der Freude einhergehend: die Erkenntnis, dass ein Wein auch ohne Oberflächlichkeiten Spaß machen kann; dass Geschmacksreibung eine ganz wunderbare Sache ist! Jedenfalls für mich.

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Diese prickelnde Erwartung, wenn ein Wein erstmals eingeschenkt wird … ©JillWellington/Pixabay

Verändertes Geschmacksprofil, neuer Lieblingswein

Und so wurde mein Weinweg breiter – und vielfältiger. Ich entdeckte meine Liebe für spanische Rotweine und für Franzosen. Ganz vorne mit dabei: das Burgund. Leider – wenn es nach meinem Geldbeutel geht. Dann kamen auch noch Naturals und Orange Wines dazu. Mein Geschmacksprofil hat sich verändert, ist sicherer geworden, breiter aufgestellt. Inzwischen können mich viele Weine begeistern. Ebenso, wie viele mich auch langweilen. Ich habe herausgefunden, dass ich auf die schlanken, feinen, kühlen Weine stehe, die eher leiser sind, denen man zuhören muss. Und mal ist ein richtig vordergründiger Kracher am Gaumen auch voll toll, der mir seine Aromen vorbehaltlos entgegenschleudert.

Nur mit dem berühmt-berüchtigten „easy drinking“ habe ich nach wie vor so meine Probleme. Beim Weintrinken geht es mir irgendwie um mehr, als mich einfach nur angenehm und leicht wegzuballern. Das ist jetzt natürlich überspitzt formuliert. Außerdem bin ich dankbar, dass es solche Weine gibt. Sie komplettieren die Vielfalt. Da ist es auch ganz egal, ob ich mit denen etwas anfangen kann oder ob ich reflexartig lieber zu einem Natural greife.

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Und plötzlich schmeckt der Einstiegswein ganz anders … ©Fotografie_Reimann/Pixabay

Abschied von den Weinkindertagen

Ihr seht: in meinem Weintrinkerleben hat sich in den vergangenen zwei Jahren eine Menge getan. Ich bin mir sicher, dass es jedem so geht, der anfängt, sich mit dem Thema etwas intensiver zu beschäftigen. Neulich kam mir meinen anfänglichen Lieblingswein wieder ins Glas, von dem wir übrigens noch ein paar Fläschchen in unserem Weinlager haben. Ein wenig Reife tut dem schließlich gut. Oder so. Was soll ich sagen? Mächtig viel Vanille und Brombeerkonfitüre gepaart mit supersüßen Kirschen und Schokolade und ein Hauch von Tabak. Vollmundig, vordergründig, fast schon süß. Ich kostete – und war ratlos. Dieser Wein war mal mein Herzöffner schlechthin? Echt jetzt? Der war immer noch sehr gut gemacht, gar keine Frage. Aber eben so voll gar nicht mehr mein Ding. Viel zu durchgestylt und nett und bewusst gaumenanbiedernd. Easy drinking. Nur halt in teurer.

Ein wenig Wehmut ergriff in diesem Moment mein Herzchen. Es war wie ein Abschied von den Weinkindertagen. So rein emotional. Mein Weinweg hat mich inzwischen in andere Genussrichtungen geführt. Aber es war nett, den altbekannten Startpunkt, dem jetzt ehemaligen Lieblingswein, mal wieder im Glas gehabt zu haben. Mehr aber auch nicht. Keine Offenbarung. Höchstens ein Aha-Erlebnis der etwas anderen Art. Und wer jetzt doch wissen möchte, um welchen Wein es sich handelt, ich habe mich auf Instagram von meiner ehemaligen Liebe verabschiedet. 😉 Ansonsten bleibt bei mir nur die große Frage, ob es euch auch schon so ergangen; ob euch Weine, die euch mal hart begeistert haben, inzwischen kalt lassen. Und falls ja: wie geht ihr damit um?

Copyright Titelbild: nile/Pixabay

*Dieser Text spiegelt ausschließlich meine persönliche Meinung wider und so.

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7 Kommentare

  1. Ich habe die gleiche Erfahrung gemacht, der Geschmack entwickelt sich weiter. Auch bei mir waren es anfangs die vollen, marmeladig-fruchtigen Roten. Allerdings hatte ich mich nie speziell auf einen Wein eingeschossen, ich habe schon immer gerne experimentiert.
    Wie Du selber schreibst – mit etwas Offenheit „lernt“ man dann, andere Geschmacksprofile zu schätzen.
    Easy Drinking ist für mich ein Wein, der zwar gut ist, aber keine besondere Aufmerksamkeit verlangt. Die meisten meiner Freunde mögen Wein, haben aber kein spezielles Interesse dran. An solchen Abenden wird der Wein kein Thema des Gesprächs werden. Ein Easy Drinking Wein ist in so einem Fall aber trotzdem ein schöner Begleiter…

    1. Da stimme ich dir zu. Wenn es keine weinaffine Runde ist, reicht ein „schlichter“ Wein. Wobei ich mich auch gerne mal dabei ertappe, dass ich als Gast auf Feiern und ähnliches lieber zum Bier greife statt zum günstigen Supermarktwein (überspitzt formuliert). Als offen bekennend lebende Weinliebhaberin bin ich dann oft in Erklärungsnot. 😉

  2. …mir kommt die beschriebene Entwicklung eigentlich ganz normal vor, ähnliches habe ich auch „durchgemacht“. Ganz salopp von den Macho-Weinen zu den filigran-komplexen Sachen, vom Mainstream -den irgendwie jeder gut fand- zu den Gewächsen, an denen sich so herrliche Kontroversen entzünden lassen.
    Angeblich ist das beim Wein genau anders herum wie beim Whkisy, habe ich neulich aus berufenem Munde erfahren…

    1. Whisky ist so gar nicht mein Metier. Aber es ist voll interessant, dass da die Trinkerentwicklung diametral ist. Und klar, meine Entwicklung ist echter und solider Weinliebhaberdurchschnitt. Ich war nur so überrascht, weil ich sie kaum mitbekommen habe. Hat sich einfach so ergeben. Finde ich aber gut. 😊

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