Jungwinzer an die Macht: Generation Riesling zu Besuch in Hamburg
Kennt ihr die Generation Riesling? Also den weltweit größten Verbund von Jungwinzern, die sich unter dem Dach des Deutschen Weininstituts zusammengetan haben, um den neuen deutschen Weinbau voranzutreiben, Aktionen durchzuführen und generell, um gemeinsam stark zu sein? Wahrscheinlich schon. Denn an der Generation Riesling führt hierzulande schon längst kein Weg mehr vorbei, wenn es um qualitativ hochwertigen Wein geht, der facettenreich und spannend ist. 25 der 520 Mitglieder waren am 26. August 2019 im ehemaligen Hauptzollamt Hamburg zu Gast, um Händlern, Agenturen, Gastronomen und Pressevertretern ihre Weine zu präsentieren.
Doch fangen wir ganz von vorne an. Denn bevor es an die Tischpräsentation ging, stand erst einmal eine Sektverkostung mit Gerhard Retter an, der sieben Schaumweine gemeinsam mit den dazugehörigen Winzern ins Glas gab und schwärmend erklärte. Es muss nämlich nicht immer nur Champagner sein. Oder halt Rotkäppchen, um auch mal ans andere Ende der Genussskala zu gehen. Wir Deutschen trinken nämlich nicht nur gerne Schaumwein (durchschnittlich vier Liter pro Person und Jahr), sondern können ihn auch meisterhaft selbst auf die Flasche bringen!
Sommelier-Legende Gerhard Retter (Leute, der Mann hat für Witzigmann und Ramsay gearbeitet und betreibt mit dem Cordo in Berlin eine Genusspilgerstätte – da darf man ihn schon mal Legende nennen) war von den meisten Schaumweinen zwar definitiv begeisterter als ich, aber sein Elan, seine Liebe steckten an. Und mich selbst haben dann auch zwei Prickler mächtig beeindrucken können.
Prickelndes der Generation Riesling
Zum einen der 2015 Raffinesse brut vom Weingut Familie Allendorf aus dem Rheingau: 50% Pinot Noir und Chardonnay und 50% Riesling. Der Sekt liegt mindestens 30 Monate auf der Hefe. Mindestens? Jepp, er wird nämlich nur bei Bedarf abgerüttelt. Können dadurch also auch ein paar Monate mehr werden. Was für ein herrlich säurestraffer Sekt mit feinen Haselnuss- und Brioche-Noten! Zum anderen hat mich der Pet Nat Lotta Love brut nature vom Weingut Hannes Bergdoll aus der Pfalz extrem begeistert.
Pet-Nat-Liebhaberin bin ich ja eh schon lange. Ich mag das Hefige, das Ungeschönte, das Erdige, das Mittelbare. Und jetzt halt mal Scheurebe als Pet Nat. In extrem geil! Maracuja, Mandarine, Zitrone tanzen Tango auf der Zunge. Nice. Nach einer Stunde „Talk & Taste“ ging es dann weg von der gesitteten Sitzverkostung und hin zu den Jungwinzern selbst – beziehungsweise an deren Tische.
Generation Riesling rockt Hamburg
Da ich hier keinen Roman schreiben will, beschränke ich mich jetzt einfach mal auf meine Highlights. Das ist ziemlich unfair, denn alle Winzer hätten eine Nennung mehr als verdient. Aber irgendwie muss ich ja die ganzen unterschiedlichen Eindrücke in Form kriegen. Bei mir ging es nach der Schaumweinverkostung direkt mit selbigem weiter. Nämlich bei der Sektmanufaktur Hattemer.
Anika Hattemer-Müller hatte fünf Schaumweine dabei: vom unkomplizierten Riesling brut bis hin zu Krachern wie den 2017 Blanc de Noir brut, bei dem 60% Pinot Noir und 40% Schwarzriesling (Champagne lässt grüßen!) für ganz viel Biss und Struktur am Gaumen sorgen. Brioche und Haselnuss gehen hier eine innige Liebesbeziehung ein. Der Sekt braucht Luft, gar keine Frage. Ein idealer Speisenbegleiter! Selbiges gilt auch für den 2016 Chardonnay brut, der zu 30% aus dem Barrique kommt. Die Cremigkeit des Sekts überraschte mich dementsprechend nicht. Ein wunderbar ausbalancierter, milder und doch vollmundiger Sekt mit stützender Säure. Dazu einen fetten Lachs, und das Leben wäre perfekt!
Ab nach Rheinhessen!
Weiter ging es danach direkt mit den nächsten Highlights: den Rieslingen von Christoph Thörle aus Rheinhessen. Schon sein 2018 Gutsriesling ist mal eine Ansage. Statt sich in trinkflussreicher Beliebigkeit zu suhlen, gibt es hier herbe Ecken für den Gaumen. Easy drinking ist das nicht, macht aber trotzdem enorm viel Spaß. Ich liebe diesen einfachen Riesling! Noch beeindruckender geht es in den Lagen weiter.
Der 2018 Riesling Saulheimer Hölle etwa hat mich mit seinen herben Zitronenzesten, der Kräuterigkeit und der messerscharfen Säure vor Begeisterung fast von den Füßen gehauen. Was für ein präziser und höchst intelligenter Riesling – den man übrigens noch unbedingt ein paar Jährchen liegen lassen sollte. Wer jetzt schon einen 2018er von Thörle genießen möchte, dem lege ich dringlichst den Saulheimer Schlossberg ans Herz. Fein, elegant, mit einer kühlen Mineralik und einem extrem langen Abgang. Ein leiser und hyperintelligenter Riesling, bei dem es sich lohnt, ihm mal in Ruhe zuzuhören.
Von Spitzenpräzision und Naturweinen
Und dann kamen bei Thörle auch noch meine beiden Aha-Erlebnisse ins Glas. Einige von euch wissen vielleicht dank Instagram, dass ich jetzt nicht so die große Kabi-Liebhaberin bin und auch nicht unbedingt auf deutsche Spätburgunder stehe. Christoph Thörle hat mich dann mal mit seinem 2018 Riesling Kabinett und seinem 2016 Spätburgunder Saulheimer Hölle eines Besseren belehrt. 🙂
Fangen wir mit dem Kabi an. Was für eine perfekte Balance von Restsüße und Säure. Das Zusammenspiel von beiden, gepaart mit Pfirsich, ist einfach nur sehr, sehr beeindruckend. Und dann der Spätburgunder! Ja doch, den kann man auch noch locker im Keller verscharren, aber Himmel! Diese kühle und schlanke Stilistik (call me Kalkboden-Fangirl!) rund um die zarte Kirschfrucht ist einfach nur ganz, ganz großes und edles Gaumenkino. Mega beeindruckend.
Naturwein von Hannes Bergdoll
Weiter ging es dann zum Kontrastprogramm von Hannes Bergdoll, der mich ja schon mit seinem Pet Nat abholen konnte. Der Pfälzer Winzer fährt zweigleisig: auf der einen Seite seine konventionellen Weine, auf der anderen seine drei Naturals und der Pet Nat. Die Naturweinlinie wird Hannes im nächsten Jahr noch weiter ausbauen. Man kann sich da also jetzt schon auf viele tolle bunte Tonflaschen freuen, die mit ihren Etiketten und Namen wahre Eyecatcher sind. Da hätten wir etwa Flow Rider – eine Cuvée aus Weißburgunder und Chardonnay. Oder die Scheurebe Booze Buddy (die mich echt mal weggebombt hat, weil ich dank Hannes endlich Scheurebe geil finde). Nicht zu vergessen den Spätburgunder, der als blasser Rosé mit mächtig viel Aroma überzeugen konnte.
Bei den drei Naturals gewann das Fangirl in mir, ich probierte begeistert und schwärmte immer mehr. Und machte mir keine Notizen. Ein großer, großer Fehler, wie ich jetzt dann mal merke. Nicht umsonst kritzeln die Profis fleißig vor sich hin. Die Details kann man wenig später nämlich kaum noch naturgetreu abrufen. Ich kann es jedenfalls nicht und erinnere mich nur noch daran, dass in meinem Kopf oft das Wörtchen “geil“ laut aufkreischte und ich von der intelligenten Harmonie der Weine geflasht war. Sobald ich die Teile mal wieder im Glas habe, reiche ich meine Notizen nach. Versprochen.
Ab nach Franken!
Bei Laura Seufert aus Franken habe ich mir dann zum Glück wieder Notizen gemacht. 😉 Mit nur 5 ha Rebfläche gehört das Weingut Seufert zu den eher kleineren Betrieben. Und wie es sich für Franken irgendwie gehört, dreht sich hier fast alles um den Silvaner (aber nicht nur! Tipp: probiert mal deren Cidre aus Äpfeln UND Birnen!), auf den ich mich dann auch gnadenlos gestürzt habe.
Sehr überrascht hat mich der Steillagen-Riesling, denn von dem hatte Laura zwei Jahrgänge mit dabei. Der 2017er fackelt nicht lange. Der will nicht schmeicheln, sondern beeindrucken. Und das tut er auch. Nämlich mit einer enormen Kräuterwürze, zu der sich sanfte Pflaume gesellt. An all den Ecken und Kanten kann sich der Gaumen ordentlich abarbeiten. Ich liebe sowas ja. Der 2018er präsentierte sich ganz anders. Nämlich mit ganz viel präziser Säure, die die Kräuter in Schach hielt und der Pflaume den Vortritt ließ. Für mich war es mega spannend, so durch das Verkosten einen Eindruck vermittelt zu bekommen, wie sich dieser Silvaner in nur einem Jahr entwickeln kann. Hammer!
Ähnlich ging es mir mit dem 2018 Silvaner Iphöfer Kalb, der gefühlt eine Mischung aus den beiden Steillagen-Silvanern ist: Markant, kräuterig, ungeheuer präzise – und mit sehr großem Lagerpotenzial. Den mal gereift im Glas haben … das wäre ein Träumchen! Und dann noch das letzte Highlight vom Weingut Seufert: der 2017 Silvaner Anarchie. Der Wein hält, was der Name verspricht. Denn dank sechswöchigem Hautkontakt, ist das der erste Orange Silvaner, den ich im Glas hatte – und gleichzeitig mein erstes Beispiel, dass ein Orange Wine nicht automatisch ein Natural ist.
Denn der Anarchie wurde geschwefelt. Nur leicht (10mg/l), aber eben geschwefelt. Wobei es noch eine Besonderheit gibt: denn es ist nicht Laura, die mit dem Anarchie Leben eingehaucht hat, sondern ihr Vater. Der kam 2007 nach einer Reise aus dem Burgenland zurück, die ihn derart inspirierte, dass er direkt loslegte, Silvaner auf der Maische zu vergären. 2007! Da wussten die meisten Winzer in Deutschland noch gar nicht, was ein Orange Wine ist. Krasse Sache. Und sehr, sehr mutig. Inzwischen stammt der Anarchie von Laura, die ihr Wissen in Sachen Orange Wine ebenfalls im Burgenland vertiefen konnte.
Auf bald, Generation Riesling!
Natürlich kamen dank Generation Riesling noch ganz viele weitere faszinierende und/oder spannende Weine in mein Glas. Alle an dieser Stelle zu beschreiben, würde ganz eindeutig den Rahmen sprengen – und euch sicherlich langweilen. Die nächste Präsentation von Generation Riesling kommt bestimmt. Ich werde ganz bestimmt wieder dabei sein, um noch mehr Jungwinzer und ihre faszinierenden Weine kennenlernen zu können. Denn machen wir uns nichts vor: das, was die junge Generation da macht, ist ganz, ganz groß! Danke, für all die Kreativität und den Mut, auch mal neue Wege zu gehen, ohne dabei die Tradition zu vergessen.
Nachweis Titelbild: ©Bottled Grapes
*Dieser Text spiegelt ausschließlich meine persönliche Meinung wider. Gesetzte Links dienen Servicezwecken und sind nicht kommerziell.
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