Peter Liem: “Champagne”
Er ist einer der ganz großen Champagner-Experten der Welt. Seit über 30 Jahren beschäftigt sich der amerikanische Weinjournalist Peter Liem mit dem wohl edelsten Schaumwein überhaupt. Da ist eine ganze Menge Wissen zusammengekommen. Und das bündelt er in seinem Buch “Champagne”. Eine Rezension.
Zuerst die schlechte Nachricht: Wer dieses Buch lesen möchte, der muss Englisch können. Denn leider wurde “Champagne” von Peter Liem noch nicht ins Deutsche übersetzt. Die Leserschaft wäre – wie auch schon beim Champagner-Buch von Robert Walters – wohl zu speziell. Und damit zu klein. Es gibt aber auch eine gute Nachricht: Die Anschaffung lohnt sich trotzdem. Schließlich ist das Buch, das mit extrem detailreichen Wissen und Insights glänzt, derart gut strukturiert, dass man auch als Nicht-Muttersprachler da hervorragend durchkommt.
Mal ganz davon abgesehen, dass es tatsächlich das beste Champagner-Buch ist, das ich bis dato kenne. Und ich habe inzwischen einige gelesen. Dass es derart gut ist, kommt nicht von ungefähr. Peter Liem war unter anderem Redakteur und Verkostungschef bei “Wine & Spirits”, betreibt eine eigene Champagner-Seite und war für die Region auch der Konsultant für den “Weinatlas” von Jancis Robinson und Hugh Johnson. Und er hat jahrelang in der Champagne gelebt, um das faszinierende Produkt sowie dessen Erzeuger besser zu verstehen. Inzwischen pendelt er aber zwischen Épernay und New York City hin und her. Schließlich hat er im Big Apple 2014 zusammen mit Daniel Johannes, dem Initiator von La Paulée, das Event La Fête du Champagne ins Leben gerufen, das DAS Schaumwein-Happening der Schönen und Reichen schlechthin ist.
Peter Liem: Bodenständig ins Champagner-Detail
Schon klar, die Veranstaltung bedient direkt mal ein Klischee. Nämlich dass Champagner eben nur was für reiche Menschen ist. Kein anderes Getränk dieser Welt ist derart mit Luxus und auch Dekadenz verbunden wie der Edel-Schaumwein. Natürlich. Selbst die massentauglichsten Bruts der großen Handelsmarken wie Veuve Clicquot oder Roederer und Co. kommen einem nicht täglich ins Glas. Champagner ist und bleibt etwas Besonderes. In welcher Luxus-Abstufung auch immer. Trotzdem gelingt es Peter Liem, hier absolut bodenständig heranzugehen. Er reitet nämlich nicht (so wie ich gerade) auf der Exklusivität herum, sondern nimmt den Alltag in der Champagner als Grundlage, um sich dem Mythos Champagner zu nähern. Und mit Glamour hat dieser Alltag mal rein gar nichts zu tun.
Leben in der Champagne bedeutet, sich mit schlechtem Wetter und einer gewissen Reizarmut abzufinden. Es geht um das knallharte Geschäft, denn schließlich hat Champagner ein Image, das in die Welt hinaus vermarktet werden muss. Leben in der Region bedeutet aber auch Hingabe. Und das nicht nur bei den kleineren Winzern, die ihre Trauben eben nicht an die großen Häuser verkaufen, sondern eigene Champagner machen, die vom Terroir und ihrer Herkunft erzählen.
“Champagne”: Vom Großen und Ganzen in die Tiefe
Womit wir jetzt auch schon mittendrin in der Materie wären. Peter Liem gliedert sein Buch in drei große Bereiche: Champagner verstehen, die Region und die Menschen. Diese drei Teile haben wiederum zahlreiche Unterkapitel. An dieser Stelle wird es dann mächtig interessant. Denn Peter Liem gelingt es, vom Großen und vom Ganzen immer weiter und tiefer in die Details zu gehen, bevor er ganz dicht an die Menschen der Region herangeht. Er beginnt mit der Geschichte des Champagners. Wer hat’s erfunden? Weder die Schweizer noch Dom Pérignon. Wie wird er gemacht? Wappnet euch für eine Flut von Fachbegriffen, die herrlich unkompliziert erklärt werden. Im zweiten Teil geht Peter Liem auf die nächste Detail-Ebene: Was prägt die Region? Und vor allem: wie unterscheiden sich die einzelnen Unterregionen?
Hier geht es jetzt mächtig in die Tiefe. Peter Liem erklärt, warum die unterschiedlichen Rebsorten dort gedeihen, wo sie es halt tun. Er beleuchtet die Böden. Aber nicht einfach nur generell. Nein, der Autor macht mit seinen Leser einen Spaziergang durch die Subregionen, wandert sogar durch die einzelnen Gemeinden und begleitet dabei einzelne Winzer, die dann wiederum die Besonderheiten des jeweiligen Terroirs erklären. Das ist natürlich sehr kleinteilig. Man geht dabei aber nicht verloren. Zum einen, weil Peter Liem sehr anschaulich berichtet. Zum anderen, weil man Karten als Orientierungspunkte hat.
Lamart-Karten als weiteres Herzstück
Und genau jetzt sind wir beim zweiten Herzstück des Buches. Im Buch selbst gibt es für jede Subregion eine detaillierte Karte mit allen Gemeinden. So weiß man jederzeit, wo sich Peter Liem gerade während seines Streifzugs befindet. Dem Buch beigelegt sind aber auch noch mehrere gezeichnete Karten, die sich in einem Fach des schicken Schmuckschubers befinden. Es sind die Karten, die Louis Lamart in den 1940er-Jahren erstellte. Ein absolutes Unikum. Denn obwohl schon so alt, hat niemand vor oder nach Lamart die Champagne derart detailliert eingefangen.
An diese Karten heranzukommen, gilt als äußerst schwierig. Peter Liem ist das durch Zufall gelungen. Und er hat es geschafft, dass Drucke davon seinem Buch beigelegt werden durften. Das ist groß! Ich habe allein ein Wochenende damit verbracht, mir diese Karten ganz genau anzuschauen. Einfach, um ein besseres Gefühl für die Region zu bekommen. Der Streifzug von Liem und die Karten gehen hier tatsächlich Hand in Hand. Als Leser hat man da die Wahl, ob man sich von den Buch einfach nur unterhalten lassen möchte oder ob man ganz tief in die Materie Champagner mit einsteigt.
Die Wissenswelt des Peter Liem
Wobei es schon ein echter Brocken ist, “Champagne” in einem Rutsch einfach nur wegzuschmökern. Die Informationen sind zwar hervorragend strukturiert, aber dennoch überreichlich. Für mich ist es deswegen eher eine Art allumfassende Wissenswelt, in die man immer wieder zurückkehren kann, um noch einmal nachzulesen. Vor allem, weil Peter Liem ja auch so viele unterschiedliche Winzer kurz porträtiert und erklärt, wie sie sich stilistisch voneinander unterscheiden. Und was jeden so besonders macht.
Dabei konzentriert sich der Autor aber nicht ausschließlich auf die Winzerchampagner, die ja inzwischen immer höher und höher im Kurs der Schaumweinliebhaber stehen. Nein, er stellt auch einige der großen Champagnerhäuser vor. Er hält da konsequent die Balance. Natürlich sind auch viele ganz konkrete Genusstipps dabei. Und ebenso natürlich muss man kräftig sparen, um auch nur einen Bruchteil dessen mal irgendwann ins Glas zu bekommen. Aber das liegt nunmal in der Natur des Champagners. Er ist und bleibt ein Luxus – auch wenn es hier ganz bodenständig um das Thema geht. Und das in allen Facetten, die das Produkt sowie die Region ausmachen. Genau deswegen ist “Champagne” von Peter Liem für mich ein ganz großes Standardwerk über Champagner, das es lohnt zu lesen, wenn man sich mit der Materie etwas genauer auseinandersetzen möchte.
Peter Liem: Champagne. The Essential Guide to the Wines, Producers, and Terroirs of the Iconic Region. 328 Seiten, Ten Speed Press, 2017. 46,99 Euro.
Copyright alle Fotos: ©NK/Bottled Grapes
*Bei diesem Buch handelt es sich um einen Eigenkauf. Die Rezension spiegelt ausschließlich meine eigene Meinung wider. Gesetzte Links sind nicht kommerziell und dienen alleine Servicezwecken.
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