Mann hält Proxy-Wein in die Kamera

Proxy-Wein: Eine gute alkoholfreie Wein-Alternative?

Hast du schon mal von Proxy-Wein gehört? Nein? Dann wird es höchste Zeit, dass wir uns diesen spannenden Newcomer in der Weinszene mal genauer anschauen. Denn Proxy-Weine sind gerade dabei, die Weinwelt ordentlich aufzumischen – und das ohne einen Tropfen Alkohol!

Was zum Kuckuck ist denn nun wieder ein Proxy-Wein? Die Erklärung geht schnell: Ein Proxy-Wein ist eigentlich gar kein Wein im herkömmlichen Sinne, sondern quasi eine Nachahmung. Der Begriff „Proxy“ kommt ursprünglich aus der IT-Welt und bezeichnet dort eine Art Stellvertreter oder Vermittler zwischen Benutzer:innen und dem Internet. In der Weinwelt übernimmt der Proxy-Wein eine ähnliche Rolle – er ist sozusagen der Stellvertreter für den klassischen Wein – ohne dabei ein alkoholfreier Wein zu sein.

Jetzt denkst du vielleicht: „Moment mal, was ist denn dann der Unterschied zu alkoholfreiem Wein?“ Gute Frage! Alkoholfreier Wein startet als normaler Wein und wird dann in einem zusätzlichen Schritt entalkoholisiert. Proxy-Weine hingegen sind von Grund auf anders konzipiert. Da hier (so gut wie) kein Alkohol entsteht, muss dieser auch nicht entzogen werden. Mal ganz davon abgesehen, dass Weintrauben hier oft nicht die Hauptrolle spielen. Kurzum: Proxys wollen gar nicht Wein sein – sie sind eine völlig eigenständige Getränkekategorie, die die Komplexität und den Genuss von Wein auf eine neue, alkoholfreie Art interpretiert.

Geburtsstunde der Proxy-Weine

Wer hätte gedacht, dass die Idee zu Proxy-Weinen ausgerechnet in der Sterneküche geboren wurde? Aber genau dort, wo Kreativität und Geschmack aufeinandertreffen, begannen die ersten Experimente mit komplexen, alkoholfreien Getränken, die Wein bei Menüs ersetzen sollten. Statt einfach nur Wasser, Softdrinks oder Traubensaft zu servieren, machten sich findige Köch:innen und Getränke-Expert:innen daran, etwas völlig Neues zu kreieren.

Erdbeschmutzte Hände halten blaue Trauben in die Kamera
Sind in Proxys ein seltener Gast: Weintrauben. © mythja/iStock

Wie wird ein Proxy-Wein hergestellt?

Jetzt wird’s spannend, denn die Herstellung von Proxy-Weinen ist eine Kunst für sich. Anders als bei der Weinherstellung kommen hier oft keine Trauben zum Einsatz – zumindest nicht als Hauptzutat. Stattdessen bilden fermentierte Getränke die Basis. Und nein, ich rede hier nicht von vergorenem Traubensaft, sondern von ganz anderen Zutaten!

Die Grundlage eines Proxy-Weins kann zum Beispiel Kombucha sein. Diesen leicht säuerliche Tee hast du vielleicht schon mal probiert. Aber auch Kefir oder fermentiertes Getreide kommen zum Einsatz. Diese Basis wird dann mit einer ganzen Palette an Zutaten verfeinert, um die Komplexität eines Weins nachzubilden.

Stell dir einfach vor, du bist in einem Alchemistenlabor: In großen Kesseln brodeln verschiedene Flüssigkeiten, und rundherum stehen Regale voller exotischer Zutaten. Genau so könnte man sich die Herstellung eines Proxy-Weins vorstellen. Die Macher:innen experimentieren mit Kräutern, Säften, Gewürzen, Essig, Bitterstoffen, verschiedenen Teesorten, Trauben und sogar aromatischen Wurzeln. Jede Zutat spielt eine bestimmte Rolle:

  • Kräuter und Gewürze bringen Aromen ins Spiel, die an die Noten erinnern, die wir aus Weinen kennen.
  • Säfte sorgen für Fruchtnoten und Körper.
  • Essig und Bitterstoffe imitieren die Säurestruktur und Tannine des Weins.
  • Tees können für Komplexität und Tiefe sorgen.

Das Ziel? Ein Getränk zu erschaffen, das in puncto Körper, Säure und Tannine einem traditionellen Wein ähnelt – nur eben ohne Alkohol.

Kombucha bildet häufig die Basis bei Proxy-Weinen
Kombucha bildet häufig die Basis bei Proxy-Weinen. © Natalya Stepowaya/iStock

Proxy-Sensorik: Ein Fest für die Sinne

Jetzt wird’s richtig spannend, denn bei der Sensorik zeigen Proxy-Weine, was in ihnen steckt. Erinnerst du dich noch an meinen Artikel über Weinsensorik? Die gleichen Prinzipien können wir auch auf Proxy-Weine anwenden. Beginnen wir mit der visuellen Analyse: Proxy-Weine können genauso vielfältig in der Farbe sein wie ihre alkoholhaltigen Verwandten. Von hellem Strohgelb über sattes Rubinrot bis hin zu tiefem Purpur ist alles möglich. Die Farbe gibt uns hier schon einen ersten Hinweis darauf, welche Art von Wein der Proxy imitieren möchte.

Beim Schwenken im Glas – ja, auch Proxy-Weine dürfen in schicke Weingläser! – können wir die Viskosität beobachten. Viele Proxy-Weine haben durch ihre Zusammensetzung eine ähnliche Konsistenz wie Wein, was schon mal ein guter Start ist. Nun kommt der spannendste Teil: das Riechen. Halte deine Nase ans Glas und lass dich überraschen! Proxy-Weine können ein faszinierendes Bouquet entwickeln. Vielleicht entdeckst du fruchtige Noten von Beeren oder Zitrusfrüchten, vielleicht kitzeln würzige Aromen deine Nase oder du nimmst florale Düfte wahr. Die Kunst der Proxy-Wein-Macher:innen liegt darin, ein komplexes Aromaprofil zu schaffen, das genauso vielschichtig sein kann wie das eines traditionellen Weins.

Ein Holzsetzkasten voller getrockneter Kräuter für Proxy-Weine
Getrocknete Kräuter gehören schon fast zum Standard für Proxys. © Cylonphoto/iStock

Geschmack von Proxy-Weinen

Dann der große Moment: der erste Schluck. Hier zeigt sich die wahre Meisterschaft der Proxy-Weine. Ein guter Proxy-Wein sollte eine ausgewogene Säurestruktur haben, die an die Frische eines Weins erinnert. Die Tannine, die durch Tees oder andere Zutaten eingebracht werden, sorgen für jenes charakteristische, leicht adstringierende Mundgefühl, das wir von Rotweinen kennen.

Der Geschmack kann von trocken bis lieblich reichen, ganz wie bei echtem Wein. Du kannst fruchtige Noten erwarten, aber auch würzige, erdige oder florale Aromen. Das Besondere: Oft entdeckt man Geschmacksnuancen, die in traditionellen Weinen so nicht vorkommen – und das macht Proxy-Weine zu einem echten Abenteuer für den Gaumen. Der Nachhall kann bei guten Proxy-Weinen durchaus lang und komplex sein. Er lädt zum Nachdenken ein und regt dazu an, den nächsten Schluck zu nehmen, um neue Facetten zu entdecken. Wie es ein guter Wein halt eben auch macht.

Jörg Geiger schaut sich ein Stück Baumrinde für seine Proxy-Weine an.
Kann nicht nur Säfte, sondern auch Proxy-Weine: Jörg Geiger. © Manufaktur Jörg Geiger

Proxy-Weine in Action: Ein Blick auf die Pioniere

Lasst uns mal ein paar konkrete Beispiele anschauen, damit ihr eine Vorstellung davon bekommt, was Proxy-Weine so drauf haben. Bestes – und in Deutschland nach wie vor bekanntestes – Beispiel ist die Champagnerbratbirne von Jörg Geiger. Mit Champagner hat das Ganze nichts zu tun. Die Birnensorte heißt halt so. Trotzdem hatte Geiger jahrelang einen Rechtsstreit mit dem Champagner-Komitee am Laufen, weil die ihm die Namensverwendung von Champagner verbieten wollten. Sie haben sich die Bezeichnung schließlich in den 1970er-Jahren schützen lassen. Kurios: Das Komitee gewann den Prozess teilweise. Seit einiger Zeit muss Geiger deswegen “C.Bratbirne” aufs Etikett schreiben. Nun ja.

Zum Glück hat sich am Inhalt nichts geändert. Und dieser ist ebenso elegant wie spritzig-charmant. Streng genommen macht Jörg Geiger seit 2003 die unterschiedlichsten Proxys. Hauptsächlich aus Birnen und Äpfel, die dann aber mit raffinierten Zutaten wie zum Beispiel Eichenblattauszug gepimpt werden. Alleine mit seinen Proxys kann man schon ein herrliches Tasting veranstalten!

Mann entnimmt eine Fassprobe bei der Manufaktur Jörg Geiger
Geiger macht’s vor: Auch bei Proxy-Weinen lohnen sich Fassproben. © Manufaktur Jörg Geiger

Noch mehr Proxy-Pioniere

Ein weiterer Pionier ist ohne Frage MURI aus Kopenhagen. Willkommen in Dänemark! Hier haben sich Murray Paterson und Ioakeim Goulidis darauf spezialisiert, zu magereren, zu räuchern und einzulegen. Alles im Dienste ihrer Proxy-Weine, die man tatsächlich nur ungewöhnlich nennen kann. Aber ungewöhnlich auf eine gute Art und Weise. Langweilig wird’s hier im Glas nie. Für mich sind diese Proxys so ziemlich das Beste, was sich derzeit auf dem Markt finden lässt.

Ich bin allerdings auch ein großer Fan der von-Wiesen-Proxys, die bei Griesel & Co. entstehen. Rachele Crosara, Amrei Pelzer und Niko Brandner zaubern hier alkoholfreie Obst-Schaumweine auf die Flasche, die wirklich gut mit herkömmlichen Schaumweinen mithalten können. Apfel bildet zumeist die Basis. Wobei sich das jetzt echt einfach anhört Ist es aber nicht. Eben wie bei MURI. Nur gibt’s hier mal ein konkretes Beispiel mit meinem Lieblingsschäumer. Der von Wiesen alkoholfrei Eisenkraut und Quitte. Neben Kräutertee aus Eisenkraut und Quittendirektsaft findet man hier nämlich auch einen Hauch Knollenselleriesaft. Hierfür wurden frische Selleriestücke in Salzlake fermentiert, was für den Extra-Kick im Geschmack sorgt. Ach ja, dann wurde alles auch noch mit Hopfen versetzt. Genau das macht Proxy-Weine aus: Sie klingen einfach, sind aber mit hochkomplex mit sehr viel Liebe zum Detail aufgebaut.

Lauter unterschiedliche Kombuchas für noch mehr Geschmacksvielfalt
Individuelle Fermente sind die Geschmacksseele von Proxys. © Petra Schüller/iStock

Proxy-Wein: Die Zukunft der Weinbranche?

Jetzt fragst du dich vielleicht: Sind diese Proxy-Weine nur ein vorübergehender Trend oder könnten sie tatsächlich die Zukunft der Weinbranche beeinflussen? Nun, lass mich meine Glaskugel polieren und einen Blick in die Zukunft wagen. Proxy-Weine haben das Potenzial, die Weinwelt ordentlich aufzumischen – und zwar aus mehreren Gründen:

  1. Alkoholfreie Alternative: In einer Zeit, in der immer mehr Menschen bewusst weniger oder gar keinen Alkohol trinken möchten, bieten Proxy-Weine eine spannende Alternative. Sie ermöglichen es, das Ritual und den Genuss des Weintrinkens beizubehalten, ohne die Auswirkungen des Alkohols in Kauf nehmen zu müssen.
  2. Kulinarische Vielfalt: Für Restaurants und Sommeliers eröffnen Proxys ganz neue Möglichkeiten bei der Getränkebegleitung. Stell dir vor, du könntest ein komplettes Degustationsmenü mit perfekt abgestimmten alkoholfreien Begleitungen genießen – ein Traum für alle, die aus welchen Gründen auch immer keinen Alkohol trinken möchten oder können.
  3. Innovation und Kreativität: Die Herstellung von Proxy-Weinen ist ein Spielplatz für kreative Köpfe. Hier können neue Geschmacksrichtungen und Kombinationen erforscht werden, die im traditionellen Weinbau nicht möglich wären. Das könnte frischen Wind in die gesamte Getränkebranche bringen.
  4. Nachhaltigkeit: Proxy-Weine könnten in Zukunft eine Rolle in der Diskussion um Nachhaltigkeit spielen. Da sie nicht an bestimmte Anbaugebiete oder klimatische Bedingungen gebunden sind, könnten sie möglicherweise ressourcenschonender produziert werden als traditioneller Wein. Und energieeffizienter als alkoholfreie Weine sind sie bereits jetzt allemal. Denn der Prozess, dem Wein den Alkohol zu entziehen, verbraucht enorm viel Energie.
  5. Neue Zielgruppen: Mit Proxys könnte die Weinbranche neue Konsumentengruppen erschließen. Junge Menschen, die vielleicht bisher wenig Bezug zu Wein hatten, könnten durch die innovativen und oft auch optisch ansprechenden Proxy-Weine an die Welt der komplexen Getränke herangeführt werden.
  6. Flexibilität im Alltag: Proxy-Weine ermöglichen es, auch in Situationen ein weinähnliches Getränk zu genießen, in denen Alkohol unangebracht wäre – sei es beim Mittagessen im Büro oder wenn man noch Auto fahren muss.
Asiatische Teekanne und zwei kleine Becher mit grünem Tee
Auch diverse Tees können die Grundlage für Proxy-Weine sein. © miss_j/iStock

Herausforderungen und Chancen

Allerdings sollten wir auch realistisch bleiben: Proxy-Weine werden den traditionellen Wein sicher nicht ersetzen. Dafür ist die Weinkultur zu tief verwurzelt und die Liebe zum „echten“ Wein bei vielen Menschen zu groß. Vielmehr sehe ich Proxy-Weine als eine Ergänzung, die das Getränkeangebot bereichert und neue Möglichkeiten eröffnet. Für die traditionelle Weinbranche könnten Proxy-Weine sowohl eine Herausforderung als auch eine Chance darstellen. Eine Herausforderung, weil sie eine neue Konkurrenz im Markt der gehobenen Getränke sind. Eine Chance, weil sie die Branche dazu anregen könnten, innovativ zu denken und neue Wege zu gehen.

Ich bin gespannt, wie sich die Proxys in den nächsten Jahren entwickeln werden. Werden wir bald Proxy-Weinverkostungen erleben? Gibt es irgendwann Proxy-Sommeliers? Und wie werden die traditionellen Weingüter auf diesen Trend reagieren? Eines ist sicher: Die Welt der Getränke ist im Wandel, und Proxy-Weine sind ein faszinierender Teil dieser Entwicklung.

Copyright Titelbild: © Thirawatana Phaisalratana/iStock

*Dieser Text erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Er wurde weder gebucht noch vergütet und spiegelt lediglich meine persönliche Meinung wider. Gesetzte Links sind nicht kommerziell, sondern dienen ausschließlich Service-Zwecken.

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3 Kommentare

  1. Toller Artikel, Frau Korzonnek!

    Da werde ich auf der ProWein gezielt nach Proxys Ausschau halten und mir mal ein Tasting zusammenstellen.

    Vielen Dank und morgen Ihnen und allen Leser*innen eine weise, zukunftsfähige Wahl!

  2. Hallo zusammen,

    ich habe meine Ankündigung umgesetzt und habe auf der wie immer zu kurzen und zu großen ProWein 2025 Proxys probiert. Muri war da (https://muri-drinks.com) und direkt daneben Kobenhavn Kombucha (www.kk-drinks.com). Bei Geiger war ich letztes Jahr schon (https://www.manufaktur-joerg-geiger.de/), für Griesel und ihre alkoholfreien Kreationen (https://www.griesel-sekt.de/) hat die Zeit leider nicht gereicht.

    Die bislang 6 Produkte von Muri und die 2 Produkte von Kobenhavn Kombucha sind wirklich klasse! Die Zeit ist mehr als reif für alkoholfreie, ernsthafte gastronomische Begleitgetränke jenseits von alkoholfreiem Bier und immer zu süßen Fruchtsäften.

    Angeregt durch eine Frage auf dem Blog „Chez Matze“ möchte ich der Thematik mal einen anderen Twist geben, um den in der Weinwelt immer „rumgeeiert“ wird:

    Ich bin Fachkrankenpfleger in der Psychiatrie und habe seit 1993 beruflich mit suchtkranken Menschen zu tun. Seit 2002 intensiv in der geschützten Psychiatrie. Da arbeite ich auch gegenwärtig noch. Die Klinik, in der ich arbeite, hat mit gutem Grund eine eigene große Suchtabteilung.

    Gegen – nicht nur in Deutschland – (zu hohen) Alkoholkonsum vorzugehen, ist medizinisch gut begründbar (Krebsrisik, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Polyneuropathie usw.) und volkswirtschaftlich sinnvoll. Da gibt es nix aber auch gar nix zu deuteln. Und da argumentiert z. B. der Arzt und Wissenschaftsjournalist Eckhard von Hirschhausen absolut faktenbasiert und richtig.

    Das sage ich als wirklicher Weinnerd und jemand, der seit 30 Jahren Weinproben präsentiert, seit 2006 ca. einmal im Monat in der privaten Weinrunde Weine verkostet und auch privat Wein trinkt. Dafür aber kaum Bier und Spirituosen.

    Ich bin absolut dafür, die Werbung für alkoholhaltige Getränke jeder Art einzuschränken und umzugestalten wie bei Tabakwaren. Und ich bin entschieden dafür, die Altersgrenze für alkoholische Getränke auf 18 anzuheben und die Steuern auf alkoholhaltige Getränke stark zu erhöhen und die Steuereinnahmen dann 1:1 dem Gesundheitswesen zur Verfügung zu stellen.
    Das sollte auch mit den Tabaksteuern und Industriezucker passieren.

    Also kurz: Klares Ja zum Verursacherinnen-Prinzip! (Aber komm darüber mal mit den jeweiligen Lobbyistinnen ins Gespräch 😉 ) Dass das funktioniert, zeigt sich z. B. in der Entwicklung des Zigarettenkonsums in Deutschland und im sinkenden Konsum von zuckerhaltigen Getränken in Großbritannien. Es geht abwärts.

    Die Moralkeule oder eine Kriminalisierung von Suchtstoffen funktioniert hingegen nicht.

    Wenn man mit abhängigen Menschen spricht, zeigt sich, dass die alle einen verstehbaren Grund oder Gründe aus ihrer Biographie haben, sich immer wieder zu betäuben. Anders würden sie es oft gar nicht aushalten. Menschen haben sich schon immer betäubt und werden es immer tun. Das verlässlich und 100%ig zu verhindern, würde in den Polizeistaat führen und jedes Rechtssystem lahmlegen. Haben wir bei der Cannabiskriminalisierung erlebt. (Und ich bin ein entschiedener Gegner von Cannabis, habe das Scheißzeug nie angerührt, bin aber für die Legalisierung und kontrollierte Abgabe in Apotheken und wünsche mir das auch für sauberes Heroin und Kokain.)

    Kurzum: Ich lebe, arbeite und moderiere persönlich also in einem permanenten Widerspruch, den ich auch nicht auflösen werde, weil ich den WeinGENUSS, das Zusammenkommen wegen des Themas, das Kombinieren von Wein und Essen einfach sehr mag.

    Und unter den wirklichen Weingenießerinnen in meinem Umfeld kenne ich wiederum keine Alkoholiker*innen. Die Suchtkranken wiederum, die ich in meinem Leben getroffen habe – bis hinein in die eigene Familie – zeichneten sich dadurch aus, dass sie soziale Nähe und Genießen meist gar nicht kannten und aushalten konnten.

    Last but not least: Ich finde das Thema „Proxys“ also in mehrfacher Hinsicht gut und absolut berechtigt. Gerne würde ich mehr über das pairing von Proxys mit Speisen lesen und erfahren. Und wir Weinliebhaber*innen sollten nicht um das Thema „Gefahren und Folgen des Alkoholkonsums“ rumeiern, sondern uns da ehrlich machen. „Wine in Moderation“ als Feigenblatt der Industrie mit kleinem Stand in der Büßerecke der weltgrößten Weinmesse reicht mir da nicht.

    Stocknüchterne Grüße nach Hamburg!

    1. Lieber Herr Riedel, vielen Dank für dieses ganz konkrete Beispiel aus Ihrem Lebensalltag. Bei mir rennen Sie offene Türen ein. Der Suchtfaktor wird noch viel zu oft kleingeredet oder gar ignoriert. Denn mal Hand aufs Herz: Nur wenige Menschen beschäftigen sich tiefergehend mit dem Thema Wein, wollen vergleichen, lernen – und natürlich genießen. Ein Großteil der Menschen konsumiert ihn, weil er „lecker“ ist oder weil er „wirkt“. Und weil er so schön gesellig macht.

      Genau aus diesem Grund habe ich zum Beispiel die Petition von VITÆVINO (https://www.vitaevino.org/de/) nicht unterzeichnet. Zum einen, weil ständig auf mäßigen Weinkonsum hingewiesen, dieser in der Petition aber nicht definiert wird. Zum anderen, weil da steht, dass Wein die Geselligkeit fördert. Geselligkeit und mäßiger Weinkonsum schließen sich aber für mich aus, da gerade in „lustigen“ und geselligen Runden oft viel zu viel Wein konsumiert wird.

      Unsere Gesellschaft ist im Wandel, wird gesundheitsbewusster, konsumiert gezielter. Und das ist vollkommen okay so. Auch wenn die Weinbranche darunter leidet. Ich habe das Gejammer in der Branche so satt. Wer nicht mit der Zeit geht, der geht mit der Zeit – so meine Devise. Wir haben seit Jahren nun einmal eine Überproduktion. Corona konnte die Absatzschwierigkeiten etwas kaschieren, nun kommt aber die Keule. Als Weingut hat man da diverse Möglichkeiten, auch neue Zielgruppen zu erschließen. Und damit meine ich nicht alkoholfreie Weine mit ihrem unglaublich schlechten CO2-Fußabdruck (von Geschmack und Qualität fange ich gar nicht erst an), sondern halt auch so etwas wie Traubensäfte, Verjus oder meinetwegen auch Weinschorlen. Ja, das sind andere Abläufe im Weingarten. Und in Bio-Qualität lässt sich so etwas halt auch besser verkaufen. Aber dann muss man sich eben bewegen und die Komfortzone verlassen, wenn man wirtschaftlich auf der Gewinn-Seite stehen möchte.

      Ich habe mich auf der ProWein mit vielen Winzer:innen über alkoholfreie Weine und Proxys unterhalten. Meiner Meinung nach sind nämlich nicht alkoholfreie Weine, sondern eben Proxys die Zukunft. Fast alle Gesprächspartner:innen waren sofort Feuer und Flamme für Proxys. Die Begeisterung ließ aber immer schnell nach, als ich nachgefragt habe, ob sie sich darin denn tatsächlich schulen lassen wollen. Das sind ja ganz andere Produktionswege und Arbeitsschritte – und ein ganz anderes Verständnis von Aromen und deren Kreation. Bei MURI war man ja auch nicht über Nacht direkt erfolgreich. Zu denen habe ich alle Winzer:innen geschickt, damit sie mal sehen, was Proxys alles können. 😉

      Dass Wine in Moderation einen derart kleinen und unscheinbaren ProWein-Auftritt hat, habe ich bereits vor zwei Jahren bemängelt. Schade, dass sich daran nichts geändert hat. Was sich auch nicht geändert hat: Dass Fachbesuchende bereits am frühen Nachmittag stark alkoholisiert durch die Gänge taumeln. Dieses Jahr habe ich da verstärkt drauf geachtet. Mir sind vor allem viele Gastronomen (nicht gegendert, weil ausschließlich männlich) negativ aufgefallen, die dann auch noch sehr unangenehm mit sexistischen Verhaltensweisen aufgefallen sind. Da darf sich die Branche also gerne mal an die eigene Nase fassen, wenn es um verantwortungsvollen und mäßigen Weinkonsum geht.

      Mal ein kleiner Einblick in mein Privatleben: Seitdem ich in der Weinbranche arbeite, trinke ich privat immer weniger Wein, dafür aber konsequent immer besseren. Seit August habe ich den Konsum sehr stark eingeschränkt – und es geht mir körperlich so viel besser. Auch ich habe eine monatliche Weinrunde, die sich immer mit einem Thema gezielt beschäftigt. Die findet auch weiterhin statt. Allerdings verkoste ich jeweils nur einen Schluck und entscheide mich dann für einen Wein, von dem ich ein halbes Gläschen trinke. So bleibe ich klar und fit und genieße trotzdem. Beim letzten Mal hat ein Gast dann aber bemängelt, dass ich ja gar nicht mehr mittrinken würde und dass das ja so weniger Spaß machen würde. Mh. Ich habe das nicht verstanden, wenn ich ehrlich bin. Ich lache mit, ich diskutiere mit. Ich fange halt nur nicht an zu lallen. Nun lasse ich mich halt auch nicht zum Trinken nötigen oder gar zwingen. Ich bin gespannt, ob das bei der nächsten Runde auch wieder moniert wird. Dann bin ich leider raus. Ich opfere nicht mein Wohlbefinden für Geselligkeit. Und Gruppenzwang fand ich schon in jungen Jahren doof.

      Herzliche Grüße aus dem Urlaub (bin gerade auf Sylt)
      Nicole Korzonnek

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