Sinkender Weinkonsum: Wer ist denn nun Schuld daran?
Wir Menschen trinken immer weniger Wein. Als Grund geben Verbände immer wieder gerne die Arbeit von Anti-Alkohol-Lobbyisten sowie den generellen Konsumrückgang aufgrund von Inflation und unsicheren Zeiten an. Aber ist der sinkende Weinkonsum vielleicht auch noch auf andere Aspekte zurückzuführen, die die Branche endlich mal auf dem Schirm haben sollte?
Seit Jahren schlägt die deutsche Weinbranche im Frühjahr die Hände über den Kopf zusammen, wenn die Verbände ihre aktuellen Absatzzahlen veröffentlichen und das Deutsche Weininstitut sowie das Statistische Bundesamt die Zahlen bündeln. Denn eines wird da Jahr für Jahr immer deutlicher. Die Deutschen trinken immer weniger Wein. Mit „die Deutschen“ sind hier übrigens alle Staatsbürger:innen ab dem 16. Lebensjahr gemeint. Das legale Konsumalter halt.
Um es mal ganz konkret auszudrücken: Von 2020 bis 2024 sank der Weinkonsum von 19,9 Millionen Hektoliter auf 18,6 Millionen Hektoliter Wein und Schaumwein. Eine Differenz von 1,3 Millionen Hektolitern hört sich vielleicht gar nicht so dramatisch an. Aber wir reden hier halt von Hektolitern. In Weinflaschen mit 0,75 Litern umgerechnet sind das knapp 186 Millionen Flaschen. Also 185.714.286, um genau zu sein. Und ja, diese Menge merkt man wirtschaftlich. Nicht nur die Weingüter selbst, sondern auch alle Unternehmen, die in irgendeiner Form Wein verkaufen. Die genauen Zahlen und Statistiken hat Meininger sehr gut aufbereitet. Tiefergehende Analysen erspare ich mir und dir an dieser Stelle. Bei Interesse kannst du alles bei Meininger hervorragend vertiefen.
Corona kaschiert den Abwärtstrend

Dass der Weinkonsum sinkt, ist also kein Gejammer, sondern ein Fakt. Und auch ein wirtschaftliches Problem. Durch die Corona-Pandemie wurde genau dieses Problem kurzzeitig kaschiert. Als die Welt in den Lockdown ging, hamsterten die Menschen nicht nur Klopapier, Hefe und Pasta in Hülle und Fülle, sondern eben auch Wein. Der heimische Konsum stieg stark an, der Online-Weinhandel verdiente sich eine goldene Nase.
Auch der stationäre Weinhandel profitierte davon. Denn die Weinbranche mag zwar derzeit überall propagieren, dass Wein bitteschön ein Kulturgut ist, das nicht aussterben darf – während der Pandemie war der Weinfachhandel dann doch sehr darauf bedacht, Produkte des täglichen Bedarfs zu verkaufen. Damit man eben wie der Lebensmitteleinzelhandel den Laden aufschließen konnte. Ein Schelm, wer dabei zwar nichts Böses denkt, aber doch eine gewisse Bigotterie erkennt. Nun ja.
Sinkender Weinkonsum: Anti-Alkohol-Lobby und wirtschaftliche Unsicherheit

Nach der Pandemie schallerte der sinkende Weinkonsum im Handel jedenfalls richtig schön rein. Die ersten Schuldigen für den Rückgang waren schnell ausgemacht. Schließlich beharrte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ja darauf, dass es keine sichere Trinkmenge bei Alkohol gäbe. Schnell war die treibende Kraft hinter dieser Einschätzung gefunden. Nämlich Movendi International. Diese Anti-Alkohol-Organisation hieß früher übrigens Guttempler. Da weiß man also, woher der Wind weht. Movendi International ist extrem finanzstark. Und dementsprechend einflussreich. Diesen Einfluss nutzt man gezielt, um auf die WHO einzuwirken. Dabei kann man die verwendeten Studien, die die Argumentation untermauern, auch anders interpretieren. Nichtsdestotrotz übernahm auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) die Aussage, dass es keine sichere Menge an Alkohol gäbe. Also ja, die Anti-Alkohol-Lobby verfolgt hier tatsächlich eigene Ziele. Aber haben die wirklich einen derart großen Einfluss auf das tägliche Gesundheitsverhalten der Menschen?
Ein weiterer Schuldiger für den sinkenden Weinkonsum machte die Branche dann mit dem Beginn des Ukraine-Krieges ausfindig. Die Inflation! Die wirtschaftliche Unsicherheit. Ja. Stimmt. Alles wurde und wird teurer. Der generelle Konsum geht stetig zurück, während sich unsere Wirtschaft das dritte Jahr in Folge in einer Rezession befindet. Hinzu kommen Sorgen um einen möglichen Krieg und die unsichere und sich drastisch verändernde Weltlage generell. Das kann mächtig aufs Gemüt schlagen. Menschen kaufen weniger und wenn, dann meist günstigeren Wein. Nicht nur im Supermarkt oder Fachhandel, sondern auch online und in Restaurants. An dieser Stelle gibt es keine Gegenfrage.
Health-Influencer und Generation Z

Kommen wir zu einem weiteren Aspekt, der die Weinbranche bewegt. Seit ein paar Monaten haut man nämlich gerne auf sogenannte Health-Influencer drauf, die auf Instagram, TikTok oder Twitch ebenfalls propagieren, dass schon kleine Mengen Alkohol schädlich sind. Die Grundthese bei allen: Wenn du regelmäßig dein Feierabendbierchen brauchst oder auf keinen Fall auf den Wein zu einem guten Essen verzichten möchtest, dann möchtest du dich nicht entspannen oder einfach genießen. Denn dann bist du Alkoholiker:in. Und nein, ich überspitze das jetzt nicht, sondern gebe einfach wieder. Diese Health-Influencer gehen aber nicht nur gegen Alkohol an, sondern auch gegen den Zuckerkonsum, gegen Fast Food und hochverarbeitete Lebensmittel, während sie Gemüse, Proteine, Ballaststoffe, Kraft- und Ausdauersport feiern. Wer solch einen Lifestyle lebt, hat mit Wein dann wohl tatsächlich wenig am Hut.
Und das gilt dann inzwischen augenscheinlich auch für über die Hälfte der Generation Z. Keine andere Generation hat in jungen Jahren derart wenig Alkohol getrunken wie eben die Gen Z. In diesem Punkt fasst sich die Weinbranche übrigens an die eigene Schuldnase. Wir hätten die jungen Leute früher abholen müssen, wir hätten besser mit ihnen kommunizieren müssen, wir hätten Wein niedrigschwelliger machen müssen. Derzeit feilt man überall an Konzepten, um die Gen Z doch noch irgendwie zu erreichen. Dabei steht mit den Alphas bereits die nächste Generation in den Startlöchern. Denn die ersten Alphas werden 2026 tatsächlich schon 16 Jahre alt. Es bleibt abzuwarten, ob die Generation Alpha mit dem Weingenuss anfängt. Ich persönlich bezweifle es. Ob nun Alpha oder Gen Z – es gibt da etwas, das beide Generationen deutlich prägen dürfte. Nämlich etwas, das bis dato in der Weinbranche noch gar nicht groß diskutiert wurde. Okay, man hat noch gar nicht darüber diskutiert.
Sinkender Weinkonsum aufgrund sinkender Gesundheit?

Wir Menschen werden nämlich immer früher immer kränker. Bestes Beispiel ist da Diabetes mellitus Typ 2. Früher nannte man ihn noch “Altersdiabetes”, weil nur Oma und Opa ihn bekamen. Heutzutage erfolgt die Diagnose meist um das 40. Lebensjahr herum. Und selbst 12-Jährige müssen schon fleißig Metformin schlucken, um ihren Blutzucker in Schach zu halten. Allein in Deutschland gibt es derzeit laut der Deutschen Diabetesstiftung 11 Millionen Diabetiker:innen. Mit eingerechnet sind da auch Typ 1, Typ 3 und der Schwangerschaftsdiabetes. Egal, ob man jetzt blutzuckersenkende Medikamente nimmt oder aber sich Insulin spritzen muss: Alkohol erhöht in beiden Fällen das Risiko einer starken Unterzuckerung erheblich. Die Folge: Knapp 50 Prozent aller von Diabetes betroffenen Menschen über 16 Jahren lassen komplett die Finger vom Alkohol. Ach ja: Jährlich kommen übrigens 600.000 neudiagnostizierte Diabetiker:innen hinzu.
Aber es geht noch krasser. Denn laut Deutscher Herzstiftung haben 20 Millionen Bundesbürger:innen Bluthochdruck. Die Hälfte bekommt Blutdrucksenker. Und was soll man dann möglichst vermeiden? Genau. Alkohol. Die Liste lässt sich beliebig fortführen: 5 Millionen Deutsche nehmen Statine gegen zu hohe Cholesterinwerte (Quelle Max Delbrück Center), 5 Millionen nehmen Antidepressiva und immerhin 2,5 Millionen sind auf Blutverdünner angewiesen. So sagt es das Deutsche Ärzteblatt.
Kranke sind keine guten Rollenvorbilder für die Jugend

Anders ausgedrückt: Unsere Gesellschaft ist alles andere als gesund. Don’t get me wrong. Jeder von uns soll bitte so leben, wie sie oder er oder them es möchte. Inklusive Bewegung und Ernährung, versteht sich. Diese Freiheit der Selbstbestimmung ändert aber nichts daran, dass wir immer jünger kränker werden. Waren Gerinnungshemmer, Antidiabetika und Co. vor zwanzig Jahren hauptsächlich für Oma und Opa reserviert, schlucken jetzt Menschen ab Mitte 40 fleißig Medikamente gegen sogenannte Wohlstandserkrankungen. Nicht, weil sie es wollen. Sondern weil sie es müssen. Und immer mehr von ihnen reduzieren aufgrund von Nebenwirkungen dann eben auch den Alkohol. Oder lassen ihn direkt komplett weg. Wir haben also auch bei den sonst sehr verlässlichen Genussmenschen einen sinkenden Weinkonsum.
Und die Generationen Z und Alpha? Na ja, die schauen sich jetzt nicht nur Oma und Opa, sondern eben auch Tante und Onkel, Mama und Papa an – und fragen sich, ob das Älterwerden tatsächlich nur mit derart vielen Pillen geht. Zugleich sind da dann die ganzen Fitness- und Health-Influencer, die ihnen eine Alternative aufzeigen. Mehr Sport. Mehr Alltagsbewegung. Gesündere Ernährung. Und eben keinen Alkohol. Der Weinkonsum sinkt somit an gleich mehreren Zielgruppenstellen. Unter uns: Auch ich trinke immer weniger Wein. Obwohl ich Wein nach wie vor sehr, sehr liebe und mir keinen besseren Job vorstellen kann. Wenn ich mich mit Kolleg:innen darüber unterhalte, höre ich immer häufiger hinter vorgehaltener Hand, dass das bei ihnen genauso ist. Um das klarzustellen: Gesundheit und Wein schließen sich meiner Meinung nach echt nicht aus. Nur scheinen irgendwie die Mengen im Konsum jetzt tatsächlich auf ein gesünderes Maß zu schrumpfen.
Vom Weinkonsum zur Zukunftsfähigkeit im Fachhandel

Wir als Gesellschaft mögen von diesem echten moderaten Weinkonsum sehr viel haben. Aber die Weinbranche bringt das eben arg in Bedrängnis. Statt nach neuen Mitteln und Wegen zu suchen, um die eigene Existenz unter diesen Bedingungen und Entwicklungen zu behaupten, schreit man lieber lauter. Die Weine werden kostengünstiger, es gibt greller leuchtende Rabattaktionen – und das Marketing wird immer aggressiver, anstatt mal einen Mehrwert zu bieten. Wirklich neue Pfade betritt man damit nicht. Man geht den ausgelatschten Weg einfach weiter und feudelt dabei nur durch.
Dabei hat der Weinhandel mit alkoholfreien Varianten und Ready to Drink schon sehr gute Alternativen in petto. Ich schreibe hier übrigens bewusst nicht alkoholfreie Weine bei den Alternativen. Denn da sind zum Beispiel bereits viele Menschen mit einem Diabetes nachhaltig raus. Zu viel Zucker. Wer eine nichtalkoholische Fettleber hat (also etwa 25 Prozent der erwachsenen Bevölkerung – bei Menschen mit Übergewicht oder Adipositas sind es sogar 80 Prozent) und dagegen vorgehen möchte, lässt auch die Finger davon. Weil viel Zucker eben auch viele Kohlenhydrate bedeutet. Einfache Gleichung. Ausnahmen bestätigen die Regel. Es gibt alkoholfreie Weine ohne Kohlenhydrate. Es gibt aber mehr zuckerfreie Proxys auf dem Markt. Der Weinhandel muss sich eigentlich nur den Gesellschaftswandel anschauen und dann die passenden Produkte für die jeweiligen Bedürfnisse ins Sortiment aufnehmen.
Und was ist mit den Weingütern?

Anders als der Fachhandel haben es die Weingüter etwas schwieriger. Okay, eine gehörige Portion schwieriger. Zwar stellen die ersten Betriebe jetzt auch Proxys her, aber mal Hand aufs Herz: Solche Geschmackswelten zu erschaffen ist etwas völlig anderes als einen neuen Wein zu kreieren. Da benötigt man ein komplett anderes Know-how. Und man wird ja Winzer:inn, um Wein zu machen. Aber vielleicht ist Wein eben nicht das Endprodukt, wenn man zukunftsfähig bleiben möchte? Um auf dem Markt zu bestehen, gehören nicht nur alkoholfreie Gewächse, sondern auch Ready-to-Drink-Produkte mit ins Portfolio. Zum Beispiel als Wein-Cocktail in zwei unterschiedlichen Varianten. Nämlich mit und ohne Alkohol.
Auch der gute alte Traubensaft erlebt derweil ein Revival. Allerdings angepasst an die jüngeren Zielgruppen, die vor allem auf Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit schauen. Der Traubensaft ist also bio – und einige Cent oder ein Euro gehen zum Beispiel an ein Umwelt- oder Sozialprojekt. Nur mal so als Beispiel. Und statt Jugendliche auf einem Fest zu überreden, endlich ihr erstes Glas Wein zu probieren, obwohl sie einem vorher gesagt haben, dass sie keinen Alkohol trinken, ist es doch viel einfacher, sie von unterschiedlichen Traubensäften oder der neuesten fancy Traubenschorle zu überzeugen. Nur mal so als Gedanke. Ideen gibt’s viele. Noch viel mehr als hier aufgezeigt.
Sinkender Weinkonsum – und der Umgang damit

Momentan habe ich den Eindruck, dass die Branche krampfhaft am Status quo festhalten will. Komme, was da wolle. Wir verkaufen Wein. Meinetwegen auch noch alkoholfreien Wein und Proxys. Dann ist es aber auch gut mit den Neuerungen. Statt zu schauen, wie man sich gezielt für die Zukunft aufstellen könnte, wird lieber gejammert, geschimpft und der nächste Buhmann gesucht. Das ist nachvollziehbar. Und einfach. Es verbessert aber nicht die eigene Situation. Es wird kein Heiland kommen, der den Menschen wieder Lust auf Wein in Massen macht. Die Zeiten, in denen sich Wein von selbst verkauft hat, sind endgültig vorbei. Da hilft auch die nächste Meckertirade nichts.
Wie heißt es doch so schön? Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit. Ein Spruch, der momentan perfekt zur Weinbranche passt. Den sinkenden Weinkonsum können wir nicht aufhalten. Aber wir können das Beste daraus machen. Denn vielleicht dreht sich der Wind irgendwann wieder – und das Geschäft würde sich für unsere Enkelkinder wieder lohnen. Ich muss es mal deutlich und leider auch hart sagen: Wer keinen Bock hat, neue Wege zu beschreiten, der muss sich halt damit abfinden, bald für immer die Türen seines Geschäfts zu schließen. Doch bitte nehmt den Menschen, die in der Branche tatsächlich noch etwas bewegen wollen, nicht ihren Mut und erst recht nicht ihren Elan. Wein wird überleben. Das macht er schon seit sehr langer Zeit. Nur eben vielleicht anders als wir es uns gerade vorstellen können.
Copyright Titelbild: © Nicole Taionescu/iStock
*Dieser Text wurde weder in Auftrag gegeben noch vergütet. Er erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und spiegelt ausschließlich meine persönliche Meinung wider. Gesetzte Links sind nicht kommerziell und dienen allein Service-Zwecken.

Kommentar verfassen