Weingut Gehring: Weinerlebnisse am Roten Hang
Weinbau, Weingenuss, Weinwohnen, Weinevents – beim Weingut Gehring im rheinhessischen Nierstein wird das Thema Wein von vielen Seiten angegangen. Die Leidenschaft hat halt viele Gesichter. Doch am schönsten wird sie in der Flasche deutlich.
Streng genommen ist das Weingut Gehring aus einer Not heraus entstanden. Denn Hans und Maria Gehring betrieben in Nierstein eigentlich eine Küferei. Hier entstanden die Holzfässer, die für die Winzer der Region so wichtig waren. Doch dann kam der Fortschritt und mit ihm das Plastik und die technischen Neuerungen. Händisch hergestellte Holzfässer waren nicht mehr gefragt. Da die Gehrings nebenbei eh schon Wein anbauten, beschloss das Paar, komplett umzusatteln. 1959 gründeten sie das Weingut Gehring – zusammen mit ihrem Sohn Hans Wilhelm und dessen Frau Anna. 1994 kam dann auch noch Sohn Theo dazu, der ein Jahr später den Betrieb übernahm, zwei Jahre später seine Frau Diana heiratete – und das Weingut Gehring mit ihr gemeinsam ziemlich umkrempelte.
So stand im Jahr 2001 erst einmal ein Umzug an. Vom Ortskern ging es nach außerhalb. Im wahrsten Sinne des Wortes. Denn die Adresse lautet seitdem tatsächlich “Außerhalb 17” in Nierstein. Das Weingut Gehring fand im ehemaligen Aussiedlerhof des Winzers Richard Ullrich ein neues Zuhause. Hier gab es mehr Platz. Und den brauchte Theo Gehring für seine Idee. Nämlich Wein aus unterschiedlichen Blickwinkeln anzugehen. Neben einem größeren Weinkeller und einer Vinothek entstand so zum Beispiel ein Weinlokal, das inzwischen auch von der Familie selbst betrieben wird. Ferienwohnungen und Stellplätze komplettierten das Zusatzangebot schnell. Ein Konzept, das 2013 noch um einen Pavillon erweitert wurde, den man für Feiern und Events aller Arten mieten kann.

Das Weingut Gehring und die Wiederentdeckung einer alten Rebsorte
Das ist schon alles recht umtriebig. Und vor allem clever. Denn nichts ist für einen Betrieb besser als Mundpropaganda. Von begeisterten Menschen, die vor Ort den Wein kennen und lieben lernen und vor allem erleben. Damit das aber auch geschieht, muss eben die Basis stimmen. Der Wein selbst. Kein Problem für das Weingut Gehring. Denn Theo Gehring setzte hier von Anfang an auf Qualität. Aus gutem Grund. Schließlich gehören zum Betrieb auch Rebflächen am Roten Hang. Hipping, Ölberg und Pettenthal. Von hier stammen die Lagenweine, die übrigens nicht komplett der Rebsorte Riesling gewidmet sind, wie man am Roten Hang ja vermuten könnte. Zwar ist Riesling auch beim Weingut Gehring die Leitrebsorte, aber Spätburgunder findet sich in den Lagen ebenso wie Chardonnay und Grauburgunder. Und Gelber Orleans. Womit wir dann auch schon direkt bei einer der großen Besonderheiten des Weinguts wären.
Noch vor 200 Jahren dominierte der Gelbe Orleans tatsächlich den Roten Hang. Bevor Riesling die Rebsorte verdrängte. Gelber Orleans reifte damals einfach noch nicht zuverlässig aus – und brachte dementsprechend recht saure Weine hervor. Riesling hingegen war der neue Charmeur. Schnell fand man Gelben Orleans nur noch am Rande der Rebgärten, wo sie quasi zum Schutz der Riesling-Reben angebaut wurde: Vorbeigehende hatten beim Naschen der Beeren keine große Freude. Aber Zeiten ändern sich. Und auch das Klima. Inzwischen wird Gelber Orleans auch am Roten Hang reif. Deswegen bestockte man beim Weingut Gehring 2013 eine Fläche am Ölberg damit.

Lagenweine vom Weingut Gehring
Nun neigt die Rebsorte zu einem üppigen Wuchs. Um die Qualität zu steigern, findet deswegen immer eine Grünlese statt. Die abgeschnittenen Trauben indes verarbeitet man zu Verjus, der beim Kochen eine erfrischende Säure und den Extrakick an Geschmack in diverse Gerichte bringt. Am besten genießt man dann natürlich den Gelben Orleans aus der Lage Ölberg zum Essen. Wobei sich auch fernab vom Verjus eine Verkostung lohnt. Denn der Wein besticht durch seine kräuterwürzigen und mineralischen Noten. Kreuzkümmel und ein Hauch Bittermandel passen hervorragend zu den balsamischen Noten und der feinen Struktur. Der Schmelz des Weins kommt übrigens durch den Ausbau im Stückfass. Ein Fass, das noch aus der ehemaligen Küferei der Familie stammt.
Wer es indes lieber fruchtiger im Glas haben möchte, der sollte sich den Riesling aus dem Pettenthal des Weinguts Gehring einmal genauer anschauen. Hier dominieren zitrische Noten, gepaart mit reifem Pfirsich. Ein überraschend saftiger Riesling, denn aus dem Pettenthal kommen meist ja eher wild-mineralische Gewächse mit ordentlich Biss. “Unsere Parzelle findet sich weiter unten im Pettenthal, Richtung Rhein. Hier haben es die Reben etwas einfacher”, erklärt Gina Gehring den Geschmacksunterschied.

Die nächste Generation mischt mit
Mit der Tochter von Theo und Diana steht dann auch die nächste Gehring-Generation in den Startlöchern. Eigentlich wollte Gina gar nichts mit Wein machen. Eine Reise nach Südafrika war dann aber ein Schlüsselerlebnis für sie: “Überall auf der Welt wird Wein angebaut, Wein getrunken. Man sitzt mit Fremden an einem Tisch und geht später als Freunde auseinander. Weil Wein verbindet.” Inzwischen hat die 23-Jährige ihre Ausbildung bei Weingütern wie Künstler und Dreißigacker gemacht und absolviert gerade die letzten Schritte zur Weinbautechnikerin. Ob sie danach bereits voll und ganz im Familienbetrieb einsteigen wird, steht noch nicht fest. Gina Gehring ist noch so jung, dass noch viele Weltabenteuer auf sie warten.
Trotzdem bringt sich die junge Frau schon gehörig beim Weingut Gehring mit ein. Dass zum Beispiel Lagenweine mit den Füßen angestampft werden, geht auf eine ihrer Ideen zurück. Außerdem hat sie von ihrem Vater die Steillage im Hipping bekommen, um die sie sich jetzt eigenverantwortlich kümmert. Da kann Gina Gehring also unter schwierigen Anbaubedingungen Erfahrungen sammeln, wenn sie ihrem Vater nicht gerade dabei hilft, neue Ideen zu entwickeln.

Von flüssigen Visitenkarten und Geschmacksphilosophien
Genau an dieser Stelle muss ich mal einen Schritt zurückgehen, um zu zeigen, wie die Qualitäten beim Weingut Gehring aufgebaut sind. An der Spitze stehen die Lagenweine. So exklusiv wie prägnant. Hier geht es um Terroir, um Charakter, um Tiefgang und Ecken und Kanten. In der Mitte befinden sich die Gutsweine, die eigentlich schon Ortsweine sind, wenn man da mal das VDP-System bemühen möchte. Diese Weine sind quasi der Genussfingerabdruck des Weinguts, die flüssige Visitenkarte. Die Weine sind saftig und charmant, ohne dabei in die Beliebligkeit abzudriften.
Und dann gibt es noch die Markenweine. Diese tragen auf dem Etikett nicht den Speer und den Ring, die den Familiennamen symbolisieren (im Altgermanischen wurde Speer als Gehr bezeichnet – der Ring ist selbsterklärend), sondern sind ebenso frei wie kreativ gestaltet. Und sie alle erzählen eine Geschichte. Bestes Beispiel ist da “Herr Müller geht fremd”. Vor ein paar Jahren sollte ein Mitarbeiter 25 neue Müller-Thurgau-Stecklinge setzen. Als die Reben austrieben, war Theo Gehring schnell klar, dass das, was da gepflanzt wurde, kein Müller-Thurgau sein konnte. Und in der Tat: es handelte sich um Muskateller. Er wollte die Reben schon rausreißen. Doch seine Tochter überredete ihn, sie zu lassen und einfach mal zu schauen, was für einen Wein dieser gemischte Satz hervorbringt. Theo Gehring hörte auf Gina – es war die Geburtsstunde eines der beliebtesten Markenweine des Weinguts, der als Einstieg in die Geschmacksphilosophie des Hauses dient.

Koschere Weine vom Weingut Gehring
Neben der gängigen Qualitätspyramide gibt es mit dem Riesling Roter Hang, dem Grauburgunder und dem Gelben Muskateller aber noch drei ganz besondere Weine beim Weingut Gehring. Denn sie sind allesamt koscher. Natürlich steckt auch hier wieder eine interessante Geschichte dahinter. Vor einiger Zeit traf Theo Gehring einen alten Freund in den sozialen Netzwerken wieder. Dieser alte Freund ist Jude und arbeitet inzwischen als Apotheker in Israel. Man unterhielt sich, lernte sich neu kennen und sponn ein wenig herum. Wie wäre es denn, wenn die Gehrings ihre Weine auch in Israel verkaufen würden? Dort werden zwar nicht nur koschere Gewächse getrunken, aber es würde ja nicht schaden, zur Markteinführung tatsächlich Weine mit dem dafür erforderlichen Kaschrut-Zertifikat zu machen. Gesagt, getan.
Ein Rabbi aus Luxemburg kam dafür immer wieder regelmäßig nach Nierstein. Denn die wichtigsten Arbeitsschritte dürfen für einen koscheren Wein ausschließlich von strenggläubigen Juden gemacht werden. In Israel selbst sind die Vorschriften sogar noch strenger. Hierzulande reicht es aber tatsächlich, wenn der Rabbi dabei ist, beziehungsweise an einigen Stellen dann aufs Knöpfchen drückt. Außerdem werden die Trauben ausschließlich maschinell gelesen, damit Ungläubige sie nicht berühren. Die veganen Naturweine verkaufen sich nicht nur nach Israel gut, sondern stoßen auch hierzulande auf reges Interesse.

Ein Blick in die Zukunft
Erfolgreich ist das Projekt mit den koscheren Weinen also allemal. Ob es aber eine Zukunft hat, muss sich erst noch zeigen. Denn wenn Gina Gehring den Betrieb irgendwann übernimmt, stellt sich ein neues Problem: Während der Menstruation gelten Frauen im Judentum als unrein. Der Rabbi dürfte während ihrer Periode also nicht mit ihr zusammenarbeiten. Nun kennt die Natur aber keine Pause und verfolgt ihren eigenen Zeitplan. Das könnte problematisch werden.
Aber beim Weingut Gehring hat sich in den vergangenen Jahren derart viel Kreatives getan, dass bestimmt schon weitere Ideen auf eine Umsetzung warten. Man darf gespannt sein, was da noch alles kommt. Nicht nur von Vater Theo, sondern auch von Tochter Gina.
Copyright Titelbild: © Weingut Gehring
*Dieser Text wurde vom Weingut Gehring weder beauftragt noch vergütet und spiegelt lediglich meine persönliche Meinung wider. Gesetzte Links sind nicht kommerziell, sondern dienen ausschließlich Service-Zwecken.
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