Weingut Martin Netzl: Lagen-Liebe in Mundart
Mit zwölf Hektar Rebfläche gehört das Weingut Martin Netzl eher zu den kleineren Betrieben in Göttlesbrunn. Und damit auch in der Weinregion Carnuntum. Trotzdem sorgen die Weine seit längerer Zeit aufgrund ihres Charakters für ein gewisses Aufsehen. Ein wesentlicher Faktor dafür sind die unterschiedlichen Lagen.
Schon klar, Wendungen wie “den Charakter einer Lage herausarbeiten” sind meist ebenso abgedroschen wie “der Wein entsteht im Weingarten und nicht im Keller”. Das hört man inzwischen von fast jedem Winzer. Denn genau das ist ja schließlich der Trend. Vor allem im österreichischen Weinbau. Carnuntum bildet da keine Ausnahme. Wenn es um das Weingut Martin Netzl geht, gibt es da allerdings einen kleinen, aber entscheidenden Unterschied. Denn auf Martin Netzl (nicht verwandt mit den Winzern Franz und Christine Netzl) traf das schon zu, lange bevor die Charakterisierung der einzelnen Lagen derart in aller Munde – und in aller Winzerhände war.
Nachdem er und sein Bruder Hans 1998 als dritte Generation in den väterlichen Betrieb (übrigens auch ein Hans) einstiegen, war sich Martin Netzl der großen Chance bewusst, die es für das Weingut gab. Der Weinskandal von 1985 war nachhaltig verdaut, Weintrinker wie Winzer setzten konsequent auf Qualität. Warum diese nicht auf die Spitze treiben? Aber eben nicht abgehoben oder gar verschwurbelt und verkopft, sondern ganz bodenständig und heimatverbunden.
Fässer aus dem eigenen Wald – Weingut Martin Netzl
Während sich Bruder Hans bis zu seinem Ausstieg im Jahr 2010 vor allem um den Vertrieb und das Marketing kümmerte, findet man den Weinbaumeister Martin Netzl seit jeher vor allem an zwei Orten: Im Weingarten oder im Weinkeller. Gut, manchmal ist der passionierte Jäger auch im Wald anzutreffen. Nicht nur zum jagen, sondern auch, um die Qualität des Holzes zu prüfen. Denn das war eine der Neuerungen, die er einführte: dass ein Teil des Holzes für die Fässer aus dem eigenen Wald kommt.
Noch größer waren allerdings die Änderungen, die er in den Weingärten selbst vornahm. Mit den Rieden Rosenberg, Schüttenberg und Bärnreiser besitzt das Weingut Martin Netzl Flächen in den besten Lagen im Carnuntum. Hier fing er sukzessive an zu schauen, welche Rebsorte sich für welche Lage am besten eignet. Was sich wie ein radikaler Umbruch anhört, war in Wahrheit ein homogener und dementsprechend sanfter Prozess. Denn einige Parzellen sind mit 40 Jahre alten Reben bestockt. Ein Zeichen dafür, dass auch schon Vater Hans Netzl auf dem goldrichtigen Vorreiter-Weg war.
Martin Netzls nachhaltiger Pragmatismus
Aber Vorreiter waren die Netzls schon immer. “Bereits 1952 hatte der Großvater mit Flaschenfüllung begonnen”, verrät Martin Netzl nicht ohne Stolz. Damals war das tatsächlich eine recht große Nummer. Denn die meisten Mischbetriebe (und genau ein solcher war das Weingut Martin Netzl damals auch) setzten traditionell noch auf den Fassverkauf. An der Flaschenfüllung hat sich nichts geändert. Natürlich nicht. Aber sie ist moderner geworden. Denn weil es sich für zwölf Hektar nicht lohnt, eine eigene Abfüllanlage zu haben und diese dann aufgrund der hohen Kosten nicht unbedingt auf dem neuesten Stand der Technik ist, schloss sich Martin Netzl mit drei anderen Betrieben aus Göttlesbrunn zu einer Abfüllgemeinschaft zusammen.
Aufgrund der Hofgröße (dank der verschiedenen historischen Gebäude ist beim Weingut Martin Netzl sehr viel Platz), steht die Abfüllanlage nun bei ihm im ehemaligen Freilaufstall (die Tierzucht gab man in den 1970er-Jahren aufgrund der Maul- und Klauenseuche-Gefahr auf). Die beiden Vorteile liegen auf der Hand: Zum einen kann sich eine solche Gemeinschaft eine viel modernere Abfüllanlage leisten. Zum anderen ist die Auslastung aber auch höher, wodurch sich die Anschaffung zusätzlich rentiert. Ein nachhaltiger Pragmatismus, der sich wie ein roter Faden durch die Tätigkeiten von Martin Netzl zieht.
Tradition und Innovation beim Weingut Martin Netzl
Womit wir jetzt wieder bei den Lagen wären. Und auch endlich bei der Mundart. Denn in Göttlesbrunn heißt zum Beispiel die Riede Rosenberg bei Einheimischen “Rosnbeag”. Und die dortige Parzelle Alter Schwarzer wird dann zum “Oida Schwoaza”. Die gleichförmige Südhanglage hat einen sandigen Boden mit Meeresablagerungen. Wenn man in der Parzelle ist, fühlen sich manche Stellen unter den Füßen fast schon wie ein Sandstrand an. Auf diesem warmen Boden gedeihen die ältesten Zweigelt-Reben des Weinguts Martin Netzl seit über 40 Jahren.
Sie sind dann auch Teil der Cuvée ‘Oida Schwoaza’ – einem der Flaggschiff-Weine. Die Blaufränkisch- und Merlot-Trauben stammen indes von den Lagen Haidacker und Bärnreiser. Von Hand gelesen und selektiert wird die Cuvée schonend vinifiziert und ausgebaut (kontrollierte Vergärung in Edelstahlbehältern, sanftes Unterstoßen und Überfluten des Tresterhutes, Maischestandzeit 16 – 18 Tage; Ausbau: Säureabbau in Barrique, anschließend Ausbau im kleinen Holzfass). Das Ergebnis ist ein Wein, der mit seiner satten und dunklen Beerenfrucht ebenso brilliert, wie mit seinen Nuancen von gerösteten Kaffeebohnen und Schokolade.
Wenn Zweigelt stille Größe zeigt
So groß die Cuvées auch sein mögen. Für mich persönlich sind vor allem die reinsortigen Weine interessant. Denn hier zeigt sich, dass sich die detaillierte und langjährige Arbeit von Martin Netzl mehr als gelohnt hat. In Kleinstmengen hat er einst Versuch um Versuch gestartet, um den Charakter der jeweiligen Lage sortenrein auf die Flasche zu bringen. Ein Prozess, der heutzutage tatsächlich ganz klar schmeckbar ist. Der Zweigelt von der Riede Rosenberg etwa ist so unglaublich sanft und zugleich ausdrucksstark und tiefgründig, dass ich das Glas kaum aus der Hand geben mochte.
Wer denkt, dass Zweigelt immer nur eine Explosion an fruchtiger Kirsche ist, sollte diesen Rieden-Wein unbedingt mal probieren – und sich eines Besseren belehren lassen. Natürlich ist auch hier Kirsche deutlich wahrnehmbar, aber derart elegant und subtil, dass ich in diesem Zweigelt förmlich schwelgen konnte. Ganz, ganz großes Kino! Wobei das jetzt nur ein Beispiel ist.
Weine, die ihren Charakter frei entfalten
Nicht minder beeindruckend ist der St. Laurent “Hoadocka”. St. Laurent wird ja gerne mal etwas im Keller gepimpt, damit die sehr feine und dadurch leise Rebsorte eine lautere Stimme erhält. Beim Weingut Martin Netzl darf sie leise bleiben – bei trotzdem durchdringender Stimme. Hier ist alles derart präzise, dass beim Genießen dieses St. Laurents die Welt um einen herum ein wenig stiller wird. Das schaffen – zumindest bei mir – nur die wenigsten Weine.
Aber genau das zeichnet alle Weine – vom Rubin Carnuntum bis zur raffinierten Lagen-Cuvée – aus, die aus dem Keller von Martin Netzl kommen: Ihnen wurde nichts aufgezwungen, sie dürfen sich ihrem Charakter entsprechend frei entfalten. Dadurch sind sie allesamt ruhige, aber eben höchst raffinierte Vertreter ihrer Rebsorte. In einer immer grelleren und lauter brüllenden Weinwelt ist das ein sehr erholsamer – und vor allem genussreicher – Gegenpol!
Copyright Titelbild: ©Steve Haider
*Dieser Text wurde weder in Auftrag gegeben, noch vergütet. Er entstand ohne Einfluss des Weinguts Martin Netzl und spiegelt ausschließlich meine persönliche Meinung wider. Gesetzte Links sind nicht kommerziell und dienen allein Service-Zwecken.
Kommentar verfassen