Weinjury von Paris: Zwischen Film und Wirklichkeit
Es war wohl die wichtigste Blindverkostung in der Geschichte des Weins. Als Weinjury von Paris ging sie in die Annalen ein. Und der Film “Bottle Shock” hat sie auch außerhalb der Branche bekannt gemacht. Schauen wir uns mal, wie’s wirklich war.
Man muss nicht unbedingt Weinliebhaber sein, um Randall Millers Film “Bottle Shock” aus dem Jahr 2008 zu kennen. Denn mit Alan Rickman, Bill Pullman und Chris Pine wartete die Hollywood-Komödie mit einem gewissen Star-Aufgebot auf, das Kinogänger in breiter Masse abholte. Und so ist die Weinjury von Paris eben auch sehr vielen Menschen ein Begriff. Also jene Blindverkostung, die 1976 in Paris stattfand und bei der kalifornische Weine über französische Gewächse triumphierten.
Obwohl die Geschichte im Film reizend erzählt wird und mit den Was-wurde-aus-Einblendungen am Ende Authentizität suggeriert, ist und bleibt “Bottle Shock” aber nun mal ein Hollywood-Streifen. Sprich: die Realität war nicht an allen Stellen kinotauglich. So fand die Weinjury von Paris am 24. Mai 1976 etwa nicht vor den Toren der Stadt in einer romantischen Ruine statt. Sondern in einem schnöden Tagungssaal des Hotels InterContinental in der Nähe der Champs-Élysées. Und auch, dass einige Jury-Mitglieder erbost ihre Bewertungszettel zurückforderten, nachdem die französischen Weine derart den kalifornischen Tropfen unterlagen, ist wohl im Reich der Ammenmärchen anzusiedeln. Jedenfalls erwähnt George M. Taber in seinem Buch “Judgment of Paris” solche Vorfälle mit keinem Wort. Und der muss es schließlich wissen. Immerhin war der “Time Magazin”-Reporter tatsächlich der einzige Journalist vor Ort. Dieses Detail ist im Film also richtig.
Weinjury von Paris: Was wirklich geschah
Bevor wir uns auf einen weiteren Faktencheck stürzen, sollte ich vielleicht mal kurz zusammenfassen, um was es bei der Weinjury von Paris 1976 eigentlich genau ging. Schließlich kennt nicht jeder die Hollywood-Komödie oder das Buch von George M. Taber. Also, Steven Spurrier, der (damalige) Weinhändler und Gründer der Académie du Vin in Paris, ließ am 24. Mai 1976 vier Chardonnays aus dem Burgund gegen sechs Chardonnays aus Kalifornien antreten. Des Weiteren duellierten sich sieben kalifornische Cabernet Sauvignons mit drei großen Bordeaux-Gewächsen an den Gaumen der elf Jurymitglieder.
Weil eh jeder dachte, dass bei Weiß- sowie Rotwein die französischen Tropfen die Nase weit vorn haben würden, machte Spurrier eine Blindverkostung aus der Veranstaltung. Sprich: die Jury wusste nicht, um welchen Wein es sich handelte, als es ans Verkosten ging. Zur großen Überraschung gewannen aber nicht die Franzosen, sondern tatsächlich zwei kalifornische Weine. Nämlich der 1973er Chardonnay von Chateau Montelena und der 1973er Cabernet Sauvignon von Stag’s Leap Wine Cellars. Das war überraschend. Aber kein Skandal. Als solcher wird die Weinjury von Paris nur heutzutage gerne stilisiert.
Und plötzlich will die Welt kalifornische Weine
Tatsächlich rüttelte das Ergebnis so nach und nach die Weinwelt auf. Mitte der 1970er-Jahre hatte niemand die Vereinigten Staaten als Weinland so recht auf dem Schirm. Vor allem nicht die Amerikaner selbst. Die tranken damals vor allem französische Tropfen – einem Europa-Urlaubsboom in den 1960er-Jahren sei dank. Still und heimlich formierte sich in Kalifornien aber eine neue Wein-Elite, die durch die Weinjury von Paris erstmals sichtbar wurde.
Wobei auch das nicht über Nacht ging. George M. Taber war schließlich der einzige Journalist vor Ort. Aber: das “Time Magazine” war damals das auflagenstärkste Magazin in den Vereinigten Staaten. Sein Artikel sorgte also für Aufmerksamkeit. Als die Story dann auch noch von der “New York Times” aus zweiter Hand aufgegriffen wurde, gab es tatsächlich kein Halten mehr. Alle Welt wollte die kalifornischen Weine im Glas haben. Es war die Geburtsstunde des Kalifornien-Hypes, der bis heute anhält. So sehr die Weinjury von Paris auch dem Weinbau im Sunshine State diente, hatte einer dann doch das Nachsehen. Nämlich der Organisator Steven Spurrier. Dieser war nämlich in den nächsten Jahren bei vielen französischen Weingütern kein gern gesehener Gast mehr. Was aber nichts daran änderte, dass der im März 2021 verstorbene Brite einer der wichtigsten Weinmenschen überhaupt war.
Die Weinjury von Paris und Steven Spurrier
Womit wir dann mitten im Vergleich von Film und Wirklichkeit in Sachen Weinjury von Paris wären. Denn der von Alan Rickman im Film verkörperte Steven Spurrier hat mit dem realen Menschen nicht wirklich was zu tun. Spurrier war kein erfolgloser und frustrierter Weinhändler. Im Gegenteil! Sein Geschäft florierte und seine Weinschule Académie du Vin war bei in Paris lebenden Engländern und Amerikanern höchst gefragt. Spurrier bot sogar Kurse in französisch für Einheimische an! Der Brite war in der Weinwelt bestens vernetzt und äußerst beliebt – und eben nicht der Außenseiter wie er in “Bottle Shock” dargestellt wird.
Auch der Trip in die Staaten, währenddessen Spurrier laut Film die kalifornischen Weine für die Verkostung ausgesucht haben soll, hat so nicht stattgefunden. Ja, Steven Spurrier hat Kalifornien bereist. Aber lange bevor er überhaupt die Idee zur Weinjury von Paris hatte. Er wusste, dass sich dort einiges tut und wollte sich selbst überzeugen. Das war’s auch schon. Nicht gerade gutes Material für Hollywood. Weswegen man ihm den Trip, den eigentlich seine Geschäftspartnerin Patricia Gallagher machte, kurzerhand andichtete. Spurrier ist also auch nicht dafür verantwortlich, dass man in Kalifornien für Weinproben einen Obolus bezahlt. 😉
Kleiner Faktencheck zu Jim Barrett
Im Film “Bottle Shock” wird ja vor allem die Entstehungsgeschichte des Chardonnay-Siegerweins von Chateau Montelena erzählt. Hier gehen tatsächlich einige Fakten ganz schön an der Realität vorbei. Das fängt mit Jim Barrett, dem Besitzer von Chateau Montelena an. Im Film von Bill Pullman verkörpert, war Barrett ein erfolgreicher Banker, der seinen Job an den Nagel hängte, ein Weingut kaufte und dort unbedingt den besten Chardonnay der Welt machen wollte. Fun Fact: wenn ihr euch “Bottle Shock” mal anschaut, dann achtet bitte auf die Traubenfarbe in den Weingärten. Da hängt nichts rum, was auch nur ansatzweise mal einen weißen Wein ergeben würde. Zu Recht! Denn der reale Jim Barrett war vernarrt in Cabernet Sauvignon und wollte da den besten Tropfen aller Zeiten machen. Dass es sein Chardonnay zur Weinjury von Paris schaffte, lag einzig daran, dass sein erster Cabernet-Jahrgang noch im Holz lag.
Ach ja, und Barrett war zu dieser Zeit auch noch kein Vollzeitwinzer. Er hatte nach wie vor seinen Job und betrieb das Chateau Montelena eher nebenbei in seiner Freizeit. Er war das Marketing-Genie hinter Montelena. Den Wein machte für ihn der kroatische Einwanderer Mike Grgich, der nach dem Paris-Coup seinen großen Traum vom eigenen Weingut erfüllen sollte. Im Film strich Regisseur Miller die Person Grgich komplett aus dem Skript und ersetzte ihn durch den mexikanischen Einwanderer Gustavo. Was außerdem verschwiegen wurde: dass es sich bei den Chardonnay-Trauben des siegreichen Weißweins um Zukauf handelte. Das ist nicht weiter ungewöhnlich. Trauben von anderen Winzern zu kaufen, ist in der Weinwelt Gang und Gäbe. Allerdings wird es in “Bottle Shock” so dargestellt, als ob Chardonnay samt Reben und Trauben der einzige Lebensinhalt von Jim Barrett gewesen wäre. Was halt klar an der Realität vorbeigeht.
Weinjury von Paris: Noch mehr Details auf dem Prüfstand
Ein Fakt, der sich tatsächlich so zugetragen hat, war die bräunliche Färbung des Chardonnays. Allerdings nicht des Weins, der dann bei der Weinjury von Paris antrat. Das war nämlich bereits der zweite oder dritte Jahrgang des Chardonnays. Passiert ist die bräunliche Färbung aber beim allerersten Jahrgang. Damals hatte Mike Grgich zu perfekt gearbeitet. Bedeutet: es kam mal so gar kein Sauerstoff an den Wein. Das hatte eine kurzzeitige Verfärbung zur Folge, die sich nach einigen Tagen aber wieder legte. In dem Fall kann ich es sehr gut verstehen, dass Randall Miller das in seinem Film mit eingearbeitet hat – eine herrliche Anekdote!
Und dann hätten wir in “Bottle Shock” ja auch noch Chris Pine als Jim Barretts Sohn Bo. Ja, den gibt es. Er leitet heute das Chateau Montelena. Zur Zeit der Weinjury von Paris hatte er mit dem Weingut also noch nichts zu tun. Er wurde also nicht, wie im Film beschrieben, von den kalifornischen Winzern dazu auserkoren, sie während der Blindverkostung zu repräsentieren. Tatsächlich war aber Jim Barrett zu dieser Zeit in Frankreich. Zusammen mit anderen kalifornischen Winzern machte er gerade eine vinophile Frankreichreise. Bei dem Battle Kalifornien versus Frankreich war aber keinen von ihnen anwesend.
Weinjury von Paris: Einmal bitte das Buch von Taber lesen
Dass Steven Spurrier auch niemals andere Flugreisende darum gebeten hat, die für die Weinjury von Paris ausgewählten kalifornischen Weine im Handgepäck mitzunehmen, damit er sie transportiert bekam, versteht sich wohl von selbst. Wobei ich persönlich diese Szene im Film ja äußerst reizend finde. Ihr seht: im Film wurde schon so einiges verdreht und nicht genau genommen.
Wer sich für die wahren Umstände rund um die Weinjury von Paris interessiert, dem kann ich nur das Buch “Judgment of Paris” von George M. Taber ans Herz legen. Hier erfährt man nicht nur aus erster Hand, wie es wirklich war. Denn Taber spannt einen weiten Bogen und erklärt detailliert, wie es in Kalifornien überhaupt erst zu solchen außergewöhnlichen Qualitäten kommen konnte. Außerdem zeichnet er die Leben der beiden Önologen Mike Grgich und Warren Winiarski gekonnt nach. Gerade für Winiarski freut mich das, denn sein Cabernet Sauvignon für Stag’s Leap kommt im Film ja überhaupt nicht vor. Grgich ist eine wichtige Weinpersönlichkeit, keine Frage. Aber Warren Winiarski hat den kalifornischen Weinbau dann doch noch mehr geprägt. Das ist dann aber wieder eine andere Geschichte. Du findest sie in dem Buch von Taber.
Copyright Titelbild: © nuno_lopes/Pixabay
*Dieser Text wurde weder in Auftrag gegeben, noch vergütet. Er erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und spiegelt ausschließlich meine persönliche Meinung wider. Gesetzte Links sind nicht kommerziell und dienen allein Service-Zwecken.
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