Buch Das große Weinmaleins von Bianca Bosker

Bianca Bosker: “Das große Weinmaleins”

Was bringt eine Journalistin dazu, ihren Job als leitende Redakteurin einfach hinzuschmeißen, um Sommelière zu werden? Und wie wahnsinnig muss man eigentlich sein, um in nur einem Jahr als absolute “Cork Dork” die Aufnahmeprüfung am Court of Master Sommeliers schaffen zu wollen? Bianca Bosker hat da einen Erfahrungsbericht in Buchform geschrieben.

Eigentlich ist Bianca Bosker ja Vollblutjournalistin. Sie hat für die ganz großen Zeitungen in den Vereinigten Staaten geschrieben, bevor sie leitende Redakteurin bei der “Huffington Post” wurde und dort vor allem über Technik berichtete. Mit Wein hatte sie nicht ganz so viel am Hut. Was sie aber hatte, war ein Faible für von einem Thema besessene Menschen. Und als sie im Internet über Videos des Wettbewerbs zum World’s Best Sommelier stolperte, war’s das dann. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Denn Bianca Bosker war nicht nur fasziniert von diesen Nerds, die aufgrund ihres Nerdfaktors eigentlich Meganerds oder Ultranerds oder Nerdnerds heißen müssten. Nein. Sie wollte das plötzlich selbst auch können. Also dieses blinde Erschmecken eines Weins. Das müsste doch auch ohne Vorerfahrung möglich sein. Zumindest, wenn man sich Mühe gibt und dazu auch noch an die Fersen all dieser wahnsinnigen Weinvollprofis hängt. Gedacht, gesagt, getan. Als komplette “Cork Dork” (so der Originaltitel des Buches, das den Sachverhalt meiner Meinung wesentlich besser trifft als “Das große Weinmaleins”, weil man da auch mal schnell etwas ganz anderes als Leser erwarten könnte) wollte sie auch so ein durchgeknallter Weinvollprofi werden.

Ein Jahr Weinwahn mit Bianca Bosker

In einem irrsinnigen Schreibplaudertempo nimmt Bianca Bosker ihre Leser mit auf ihren promillegetränkten Weg. Denn ja, anfangs hat sie nicht gespuckt, sondern alles, was sie ins Glas bekam, tatsächlich brav geschluckt. Das war nicht eben wenig, denn in den Vereinigten Staaten, speziell in New York City, wo diese Leidensjahrgeschichte spielt, gibt es zwei Weingroßhändler, die die komplette Branche beliefern. Ausschließlich. Und eben die bieten jeden Tag jeweils eine große Verkostung mit neuen Weinen an. Wenn man da alles mitnimmt, dann ist man mittags eben besoffen und nachmittags verkatert. So war es jedenfalls bei Bianca Bosker.

Bianca Boskers Buch Das große Weinmaleins auf einem Tisch mit Champagnerkorken
©NK/Bottled Grapes

Zum Glück heftete sie sich dann aber an die Fersen von Master Sommelier-Anwärtern, drängelte sich in Blindverkostungsgruppen und arbeitete nebenbei als Kellerratte in einem Restaurant. Hinzu kamen dann noch diverse Ausflüge in die unterschiedlichen Branchenrichtungen. Ob nun Weinbarbesitzer, Sommelierdauerwettbewerbsteilnehmer, Master Sommeliers, Aromaraderfinderinnen, Laborratten in der großen Massenweinindustrie oder ebenso überhebliche wie stinkreiche Teilnehmer der legendären und leicht perversen Gigantodekadenzveranstaltung La Paulée. Leicht pervers, weil sich hier scheinbar die Elite der Elite schweineteure Weine wie Wasser hinter die Binde kippt und spätestens nach einer Stunde nicht mehr gerade gucken kann – was sie aber nicht davon abhält, trotzdem tausende von Euro auch in der nächsten Stunde zu versaufen.

Insights aus der New Yorker Somm-Szene

Und dann wären da ja noch die Sommeliers an sich. Also diese Chamäleons, die immer das sind, was der Gast in ihnen sehen möchte. Mit ihrem perfekten Äußeren, in dem der große Ozean des Weinwissens wogt, und der sich dann in Wellen an die Gäste schmiegt. Schmiegt, wohlgemerkt. Nicht überspült. Immer schön auf Augenhöhe bleiben, bitte. Auch wenn Somms dem “Zivilisten”, also dem privaten Weinliebhaber, natürlich haushoch überlegen sind. Und diesen – noch natürlicher – jederzeit ausnehmen könnten, es aber nicht tun, weil sie ihn ja als Stammgast gewinnen wollen. Und denen es um weit mehr geht, als nur das richtige Pairing zu finden.

Hört sich extrem durchdacht und manipulativ an, oder? Nun, ist es auch. Würde ich nicht ein paar Sommeliers kennen, die wirklich nett und … na ja … natürlich und anständig sind, würde ich nach der Lektüre dieses Buches diese Zunft jetzt vielleicht ein kleinwenig verachten. Aber wahrscheinlich nur ein kleinwenig. Denn schon allein das hohe Erzähltempo von Bianca Bosko, das übrigens trotzdem gewisse Längen in einigen Passagen nicht überdecken kann, zeigt hier vor allem eines: Wir sind sowas von in den Vereinigten Staaten. Hier wird nicht gekleckert, sondern geklotzt. Da geht es ständig um das Große und das Ganze. Warum Wein auch einfach mal nur genießen, wenn man ihn in einer Blindverkostung nach den Regeln des Courts of Master Sommelier eiskalt und ohne jegliche Emotion in seine Einzelteile zerlegen kann?

Buch von Bianca Bosker von Weinkorken umrankt
©NK/Bottled Grapes

Das rasante Tempo der Bianca Bosker

Genau diese extrem hohe Professionalität, die fast komplett ohne Emotionen auskommt, hat mich persönlich ein wenig abgeschreckt. Ebenso wie der Zynismus, der den Somms in den kulinarischen New Yorker Sternetempeln eigen zu sein scheint. Doch zum Glück gibt es in “Das große Weinmaleins” dann doch hin und wieder mal einen Moment des Innehaltens. Und des Reflektierens. Sodass eben nicht alles komplett an der blank polierten Profioberfläche dahinrauscht.

Vielleicht bin ich zu sehr Deutsche. Oder noch schlimmer: deutsche Weinspießerin. Denn trotzdem habe ich mir während des Lesens oft ein etwas gemäßigteres Tempo und dafür etwas mehr Tiefgang gewünscht. Übrigens auch in der Übersetzung. Denn Bianca Bosker unterstelle ich jetzt einfach mal, dass sie selbst Champagner nicht als Perlwein bezeichnen würde. 😉 Klar, die Insights sind schon sehr unterhaltsam, aber in der Masse – und vor allem derart geballt und mit Schreibtempo überrollt – war es mir persönlich irgendwann zuviel, sodass ich weder Mehrwert noch Lesegenuss daraus ziehen konnte. Aber vielleicht geht es euch bei der Lektüre ja anders. Ich wünsche es euch sehr.

Bianca Bosker: Das große Weinmaleins – Wie ich von besessenen Sommeliers alles über Wein lernte. 416 Seiten, Piper Paperback. 16,00 Euro.

Foto Titelbild: @NK/Bottled Grapes

*Bei diesem Buch handelt es sich um ein Leihexemplar einer Kollegin. Die Rezension spiegelt ausschließlich meine eigene Meinung wider. Gesetzte Links sind nicht kommerziell und dienen alleine Servicezwecken.

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