Primitivo-Trauben am Rebstock in einer Nahaufnahme

Primitivo, Zinfandel und der Herkunftskrieg um die Rebsorte

Für die einen Gaumenschmeichler, für die anderen banale Trinkschokolade für Erwachsene. Primitivo spaltet die Genussgemüter! Das ist aber nicht der einzige Kampf rund um die rote Rebsorte. Denn den eigentlich Fight gab’s um ihre Herkunft. Tauchen wir mal etwas in die Geschichte ein!

Kaum eine andere Rebsorte hat in den vergangenen paar Jahrzehnten eine derart steile Karriere hingelegt wie die rote Primitivo. Oder sollte es vielleicht doch besser Zinfandel heißen? Vielleicht sogar Crljenak Kaštelanski oder Tribidrag? Kümmern wir uns zunächst um die bekanntesten Namen der Rebsorte: Primitivo und Zinfandel. Während erstere vor allem im süditalienischen Apulien gedeiht, läuft zweitere in Kalifornien (hier vor allem in Lodi) zur Hochform auf.

Hätte man vor 50 Jahren in beiden Ländern nach dem Ursprung der Rebsorte gefragt, wäre die Antwort identisch gewesen: “Na, die kommt von hier!” Dass beide Länder den Heimatstatus für sich beanspruchten, kommt nicht von ungefähr. Denn hier wie dort hat Primitivo aka Zinfandel eine sehr lange Tradition. Kein Wunder, dass sich fast schon ein ausgewachsener Herkunftsglaubenkrieg zwischen Italien und den Vereinigten Staaten entspann. Um direkt mal etwas zu spoilern: beide haben verloren. Bevor wir das Herkunftsgeheimnis lüften, schauen wir uns aber erst einmal an, warum beide Länder dachten, sie hätten die Heimat von Primitivo beziehungsweise Zinfandel für sich gepachtet.

Primitivo oder Zinfandel?

In Apulien wurde Primitivo erstmals im Jahr 1799 vom Botaniker Francesco Filippo Indellicati erwähnt. In verwilderten apulischen Weingärten fiel ihm nämlich eine Traube auf, die früher reifte als die anderen. Daher auch der Name, der sich vom lateinischen primativus, also “zuerst reifend”, ableitet. Als Primitivo wurde die Sorte allerdings erst von 1860 an bekannt. Zuvor firmierte sie als Zagarese – benannt nach der der kroatischen Stadt Zagreb. Was uns wiederum einen ersten Anhaltspunkt zur wahren Herkunft gibt. 😉

Blick auf eine Bucht im Salento in Apulien
Apulien ist wunderschön – aber nicht die Originalheimat von Primitivo. ©monkie58/Pixabay

Ähnlich erging es auch den Amerikanern. Dort dachte man lange Zeit, dass es sich bei Zinfandel um eine autochthone Rebsorte handelt. Eigentlich kurios, denn die Traube gehört ja nun zu den Edel- und nicht den Amerikanerreben. Was per se schon mal darauf hindeutet, dass sie importiert ist. Zum Glück änderte man in Kalifornien dann auch die These. Nämlich dahingehend, dass Zinfandel in den 1850er-Jahren vom ungarischen Migranten Agoston Haraszhy eingeführt wurde. Und zwar als eine von 300 Rebsorten, die der umtriebige Mann überall in den Staaten pflanzte. So weit, so gut. Aber wann kam zum ersten Mal die Vermutung auf, dass Primitivo und Zinfandel identisch sein könnten?

Erste Verwandtschaftsspuren

Das war 1967. Damals stattete der Paläontologe Austin Goheen der apulischen Stadt Bari einen Besuch ab. Und währenddessen bekam er auch Primitivo ins Glas. Der Geschmack erinnerte ihn sehr an Zinfandel: Vollmundig, hoher Alkoholgehalt und die ganze Frucht-Power von Kirschen, Pflaumen und Brombeeren sowie Zimt und ein Hauch schwarzer Pfeffer. Und natürlich noch eine gewisse Restsüße, obwohl der Wein trocken ausgebaut wurde. Goheen bat darum, sich die Primitivo-Rebe mal genauer anzuschauen zu dürfen. Im Weingarten staunte er dann nicht schlecht. Die Ähnlichkeit mit Zinfandel war verblüffend! Kurzerhand nahm er ein paar Reben mit nach Kalifornien. 1972 kam die erste Bestätigung: die Morphologie beider Rebsorten war identisch.

Und genau an dieser Stelle brach dann der große Wettkampf zwischen Italien und den Vereinigten Staaten aus. Denn Zinfandel war in den USA derart beliebt, dass auch apulische Winzer etwas von dem Wirtschaftskuchen abhaben wollten. Dümpelte die Reblächengröße vor 1970 noch vage vor sich hin, wurde bis 1990 auf 17.000 Hektar kräftig aufgestockt. Nicht, damit die Italiener mehr Primitivo trinken konnten. Nein, den Wein exportierte man gen USA. Natürlich als Zinfandel etikettiert. Und ebenso natürlich passte das den kalifornischen Winzern mal so gar nicht. Vor allem die Weinbauern aus der kalifornischen Subregion Lodi stellten sich quer. Hier gediehen schließlich die ältesten und besten Zinfandel-Bestände des Landes. Konkurrenz war da nicht erwünscht.

Alte Zinfandel-Primitivo-Reben in Kalifornien
Alte Zinfandel-Reben in Kalifornien. © KarenWibbs/iStock

DNA-Beleg: Primitivo und Zinfandel sind identisch!

Ähnlich sahen es auch die amerikanischen Behörden. Dank eines neuen Gesetzes hatten die italienischen Winzer das Nachsehen und mussten ihren Wein wieder Primitivo nennen. Jedenfalls bis 1994. Denn da machten Carole Meredith und ihr Doktorand John Bowers an der Universität von Kalifornien die ersten DNA-Analysen. Das Ergebnis: Primitivo und Zinfandel sind identisch. Was dann wiederum den italienischen Winzern erlaubte, Zinfandel statt Primitivo als Rebsorte auf die Etiketten zu schreiben. Wobei Primitivo zu dieser Zeit auch schon seinen Siegeszug durch Europa antrat. Der vollmundige Gaumenschmeichler wurde vor allem in Deutschland immer beliebter. Hierzulande ist er bis heute einer der größten vinophilen Importschlager.

Von dem Ergebnis der DNA-Analyse angestachelt, begann erneut die Suche nach der ursprünglichen Heimat der Rebsorte. Genau diese vermutete man in Kroatien. Hinweise wie den Traubennamen Zagarese gab es ja bereits. Jetzt musste dort eben nur noch eine Rebsorte gefunden werden, deren DNA mit Primitivo aka Zinfandel übereinstimmte. 1998 machte sich Carole Meredith mit ihren beiden kroatischen Kollegen Edi Maletić und Ivan Pejić auf die Suche nach dem Primitivo-Ursprung. Und das stellte sich als gar nicht mal so einfach dar. Das Trio suchte tatsächlich jahrelang. Ihre Detektivarbeit ging später unter dem Namen “Zinnquest” in die Annalen der Weingeschichte ein.

Eine kroatische Rebsorte?

Dass die Suche nach dem Ursprung so lange dauerte, lag vor allem daran, dass das Trio zunächst einer falschen Spur folgte. Denn in Kalifornien stellte unter anderem Mike Grgich (ja, genau der Mike Grgich, der den Chardonnay-Siegerwein von Chateau Montelena beim Judgement of Paris vinifizierte) morphologische Untersuchungen an. Grgich kam – irrtümlich – zu dem Schluss, dass Zinfandel und Primitivo mit der kroatischen Plavac Mali identisch sein müssten. In Kroatien angekommen, sammelten Meredith, Maletić und Pejić 148 unterschiedliche Plavac-Mali-Proben entlang der dalmatischen Küste ein und untersuchten deren DNA. Das Ergebnis war enttäuschend. Sie stellten zwar Ähnlichkeiten fest, aber eben keine Deckungsgleichheit. Spoiler: Primitivo ist ein Elternteil von Plavac Mali. Deswegen die DNA-Ähnlichkeit. Die Suche ging also weiter.

In den nächsten Jahren nahm das Trio immer wieder DNA-Untersuchungen anderer Rebsorten aus Dalmatien vor. Einen Treffer landeten sie nie. Doch sie blieben dran. Ihr Durchhaltevermögen wurde schließlich im Dezember 2001 belohnt. Denn eine Probe aus dem Weingarten von Ivica Radunić aus Kaštel Novi, nördlich von Split, war endlich identisch! Bei dieser Probe handelte es sich um die Rebsorte Crljenak Kaštelanski (wörtliche Übersetzung: die Rote aus Kaštela). 2002, also nur ein Jahr später, kam eine weitere Rebsorte hinzu, deren DNA deckungsgleich war: Pribidrag. Diese fand das Trio übrigens im Garten einer alten Dame im Süden von Split.

Historische Altstadt von Split in Kroatien
Rund um Split fand man erste Spuren zum Primitivo-Ursprung. © neufal54/Pixabay

Offizieller Primitivo-Name: Tribidarg!

An dieser Stelle hätten die Biologen eigentlich aufhören zu können zu suchen. Was sie aber nicht taten. Denn sie hatten den Verdacht, dass es noch mehr Rebsorten geben könnte, die mit Primitivo und Zinfandel identisch und vielleicht noch älter als Crljenak Kaštelanski und Pribidrag sind. Und tatsächlich: 2011 stießen sie in Dalmatien auf die Rebsorte Tribidarg, die bereits im Jahr 1518 in Dokumenten rund um Split erwähnt wurde! Und weil Tribidarg den ältesten Beleg hat, ist das tatsächlich jetzt auch der offizielle Name der Rebsorte. Obwohl deren Synonyme Primitivo und Zinfandel eindeutig bekannter sind. 😉

Fun Fact am Rande: Rebsortenforscher sind echte Nerds. Sie hören nicht auf zu buddeln und graben, bis sie auch das letzte Detail herausgefunden haben. Die ampelographischen Untersuchungen zu Tribidarg sind also bis heute nicht abgeschlossen. Inzwischen gibt es nämlich sogar die Vermutung, dass Tribidarg wiederum unter dem Namen Blauer Scheuchner nach Kroatien gekommen sein könnte. Und zwar aus Baden-Württemberg! Was Primitivo dann zu einer deutschen Rebsorte … nein, an dieser Stelle brechen wir einfach mal ab. Ich gebe hier jetzt nicht den Ultra-Nerd. Und auch nicht die Möchtergern-Rebforscherin. Spannend ist es aber allemal, wie besessen Wissenschaftler da ans Werk gehen können.

Copyright Titelbild: © Anna Fedorova/iStock

*Dieser Text wurde weder in Auftrag gegeben, noch vergütet. Er erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und spiegelt ausschließlich meine persönliche Meinung wider. Gesetzte Links sind nicht kommerziell und dienen allein Service-Zwecken.

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4 Kommentare

  1. Liebe Nicole,
    die Geschichte um die Herkunft von Primtivo und Zinfandel finde ich superinteressant! Und so spannend. Danke!
    LG Rudolf

  2. Toller Beitrag! Ich mag diesen Wein. Habe ihn schon in Kalifornien getrunken, als ich den Namen Primitivo noch gar nicht kannte. Schade, dass er in Deutschlands Supermärkten häufig in bescheidener Qualität vertrieben wird. Das hat er nicht verdient.
    Thomas Friedrich

    1. Danke, Thomas! Ja, es gibt wirklich tolle Primitivo/Zinfandel-Qualitäten. Im Supermarkt findet man die leider eher selten. Da wird dann doch eher die Massenware vertrieben. Die Rebsorte ist halt sehr ertragsstark. Reduziert man den Ertrag als Winzer aber bewusst, wird man mit tollen Qualitäten belohnt. Das freut dann auch den Weinliebhaber. 😊

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