Blick auf die Adria-Küste in Apulien

Apulien: Mehr als nur ein Wein-Klischee?

Es gibt nur wenige Weinregionen auf der Welt, die derart polarisieren wie das süditalienische Apulien. Meistens bringt man das Anbaugebiet mit ebenso fruchtigen wie vollmundigen und alkoholstarken Rotweinen in Verbindung. Was ja auch stimmt. Und trotzdem ist Apulien eben auch mehr als das.

Für die einen Weinliebhaber ist Apulien das vollmundige Rotweinparadies schlechthin, für die anderen die Wiege von aufgepumpten Massenweinen. Dazwischen: ein ebenso breiter wie tiefer Geschmacksgraben. Trennen sich hier etwa Weintrinker von Weinkennern? Die Antwort ist eindeutig. Jein. Ja, in Apulien wird nach wie vor mehr Masse als Klasse erzeugt. Aber die Klasse gibt’s eben trotzdem. Man muss dafür nur den etwas unbekannteren Pfaden rund um Primitivo und Co. folgen. Schauen wir uns das also mal genauer an.

Apulien gilt nicht umsonst als “Weinkeller Italiens”. Mit gut 100.000 Hektar Rebfläche und einem Maximalertrag von bis zu 40 Tonnen Trauben pro Hektar wird hier geklotzt und wahrlich nicht gekleckert. Bei einem Großteil der Weine handelt es sich nach wie vor um charakterlose Fassweine, die letztlich die Regale der deutschen Discounter und Supermärkte fluten. Allen voran natürlich die unterschiedlichen Primitivo-Weine, die dank einer ordentlichen Portion Restzucker (mit schönen Grüßen vom industriellen Doppio-Passio-Wahnsinn) den Massengeschmack ganz gezielt und damit auch perfekt bedienen.

Karte von Italien mit den Weinregionen
Und jetzt mal alle Blicke gen Stiefelabsatz. Denn da liegt Apulien. © Stefano Solda/iStock

Apulien, du hast ein Image-Problem!

Nicht zu vergessen, dass auch der Alkoholgehalt da etwas höher sein darf. 15 Volumenprozent Alkohol? Kein Problem! Auch 19 Volumenprozent bekommt ein ordentlich getunter Primitivo aus dem Salento, also vom Stiefelabsatz, spielend hin. Womit solch ein Primitivo einem Portwein dann irgendwie näher ist als einem gängigen Rotwein.

Apropos Salento. Hier brutzeln die Reben im mediterranen Klima in der Fläche gnadenlos in der Sonne. Da helfen dann auch die sanften Brisen, die von Adria und dem Ionischen Meer herüberwehen, nur bedingt etwas. Da mag man fast vergessen, dass das Salento eigentlich gar nicht Primitivo-Hauptzone ist, sondern dass hier vor allem die rote Rebsorte Negroamaro zur Hochform auflaufen kann. Wenn die Trauben denn an alten Buschreben hängen. Doch von denen wurden zur Jahrtausendwende leider im Zuge eines EU-Rodungsprojektes viele vernichtet. Was blieb, waren die Reben, die viel Ertrag und wenig Tiefe liefern.

Genau das ist dann ja auch das Image-Problem von Apulien. Nämlich dass hier ausschließlich Massenweine entstehen. Und mit bis zu 100 Millionen Litern Wein als Jahresproduktion kann man diesen Ruf schon durchaus verstehen. Da nützt es auch nichts, dass vor der Jahrtausendwende in Apulien eigentlich alles noch viel schlimmer war. Wir sind schließlich auch jetzt noch mitten drin im Dilemma. Denn es sind ja gerade diese vollmundigen Primitivo-Gewächse, die vor allem auf dem deutschen Markt so erfolgreich sind. Und auch allgegenwärtig. Da mag man es kaum glauben, dass Apulien aus mehr geschützten Ursprungsbezeichnungen (DOC und DOCG) besteht als eben Primitivo di Manduria (auch am Stiefelabsatz zu finden, direkt am Ionischen Meer).

Rebenmeer in Apulien
Hier wurden ideale Bedingungen für eine maschinelle Bewirtschaftung geschaffen. © peuceta/iStock

Die Krux mit den Apulien-Vorurteilen

Tatsächlich hat die Region 28 DOCs und 4 DOCGs vorzuweisen. Nur leider sind die meisten davon hierzulande kaum bekannt. Einfach, weil Primitivo, Negroamaro und mit etwas Beliebtheitsabstand auch Nero di Troia vor allem aus den drei IGTs (geschützte geografische Angabe) Puglia, Murgia und natürlich Salento auf dem deutschen Markt derart gut funktionieren, dass sich der Weinhandel gar nicht mehr um die anderen geschützten Ursprungsbezeichnungen bemühen mag. Was ich übrigens sehr gut verstehen kann. Wenn man einen vollmundigen, üppigen und marmeladig-fruchtigen Primitivo à la Puglia erwartet, dann aber einen schlanken, würzigen Primitivo-Wunderknaben mit hoher Säure und weniger Umdrehungen aus der Gioia del Colle DOC bekommt, dann ist der gängige Apulien-Genießer enttäuscht.

Beim Weinkenner hingegen sind die Apulien-Vorurteile inzwischen aber so groß, dass man sich wegen des Plateaus, auf dem die Primitivo-Reben in 350 Meter Höhe gedeihen und von den Temperaturstürzen in der Nacht derart profitieren, dass man es hier eben nicht mit Trinkschokolade für Erwachsene zu tun hat, sondern mit ernsthaften Gewächsen voller Ecken und Kanten und Charakter, die trotzdem noch zu einem Spottpreis daherkommen, den Mund fusselig reden kann. Solche Gewächse stechen zwar heraus, sind aber wahrlich schwer an den Weinliebhaber zu bringen. Wer solche Primitivo-Weine anbietet, gehört hierzulande eindeutig zu den mutigeren Händlern.

Reife Primitivo-Trauben am Rebstock
Apulischer Superstar: Primitivo. © Anna Fedorova/iStock

Autochthone Trauben treffen auf internationale Rebsortenstars

Noch nördlicher als Gioia del Colle liegt die DOC San Severo in Apulien. Hier ist auf den knapp 200 Hektar umfassenden Rebflächen mal nicht Primitivo oder Negroamaro der Star, sondern Bombino Bianco und Trebbiano Bianco, die zusammen einen erstaunlich frischen Weißwein oder charmanten Schaumwein ergeben. Im Rotwein-Bereich trumpfen hier Montepulciano und Sangiovese im Duo auf. Wobei es natürlich auch eine Menge Nero di Troia gibt. Und Merlot. Denn ja, auch die internationalen Rebsorten haben sich in Apulien schon längst etablieren können.

Vor allem Merlot und Chardonnay trumpfen inzwischen groß auf. Was meiner Meinung nach sehr schade ist. Denn so hat man sich neben den Primitivo-Weinbomben noch ein weiteres Klischee ins Weinanbaugebiet geholt. Nämlich den Pseudo-Glamour der Internationalität. Dabei könnte man sich doch so gut auf die eigene Herkunft besinnen! Und zwar mit einheimischen Rebsorten. Um Apulien verstärkt eine eigene Wein-Identität zu geben, die über die Primitivo-Massen hinausgehen.

Rebfläche in Apulien in der Provinz Bari
Wie fast überall in Apulien, befinden sich auch in Bari die Rebanlagen in der ebenen Fläche. © tupungato/iStock

Authentizität, die man nicht im Supermarktregal findet

Wobei das ja auch passiert! Und zwar in fast allen Subregionen Apuliens. Das Problem: Solche Gewächse verlassen den “Weinkeller Italiens” so gut wie nie, sondern werden fast ausschließlich vor Ort genossen. Die Weine, die man dort ins Glas bekommt, mögen teilweise schlichter sein. Aber sie sind ehrlicher und authentischer als der Großteil, der hierzulande die Regale in Discountern und Supermärkten flutet. Und auch so manchen Weinfachhandel.

Nehmen wir da nur mal die Gewächse aus der Cacc’e Mmitte di Lucera DOC. Nördlich von Foggia gelegen, umfasst die Rebfläche hier gerade einmal 26 Hektar. Mit Nero di Troia, Montepulciano, Malvasia Nera di Brindisi und Sangiovese auf der roten Seite sowie Trebbiano Toscano, Bombino Bianco und Malvasia Bianca im weißen Bereich, sind hier ausschließlich einheimische Rebsorten Trumpf. Der Name Cacc’e Mmitte di Lucera heißt übersetzt übrigens “Trink aus und schenk wieder ein”. Da weiß man direkt, dass man keine Spitzenqualitäten erwarten braucht. Aber eben authentische lokale Tropfen, die hervorragend zur regionalen Küche passen. Und dann auch sehr viel Freude machen.

Trulli-Häuser in Apulien
Die Trulli-Häuser sind in Apulien so etwas wie das touristische Primitivo-Pendant. © Roman Slavik/iStock

Apulien: Hinfahren, entdecken und genießen!

Und wer es noch exklusiver und richtig weit ab vom Mainstream haben möchte, der sollte vielleicht mal einen Urlaub in der Orta Nova DOC machen, die südlich von Foggia, aber immer noch im Norden Apuliens liegt. Die Subregion umfasst gerade einmal zwei Hektar! Und dann spielt hier auch noch Sangiovese die Hauptrolle – flankiert von Nero di Troia, Montepulciano, Lambrusco Maestri und Trebbiano Toscano. Die Rotweine und Rosés, die hier entstehen, sind zwar vollmundig, lassen aber auch eine gewisse Eleganz nicht vermissen. Vor allem sind sie aber ein Paradebeispiel dafür, dass Apulien weit mehr kann als Alkoholbomben aus Primitivo und Negroamaro.

Wer solche Weine aus Apulien genießen möchte, dem bleibt nur in der Regel nichts anderes übrig, als tatsächlich hinzufahren. Denn solche Gewächse schaffen es nur in Ausnahmefällen nach Deutschland. Man mag in Apulien mit dem eigenen Ruf hadern und sich wünschen, ein wenig mehr Renommee in der Weinwelt zu haben, finanziell geht es sich dann aber doch noch derart gut, dass man von der Massenproduktion einfach nicht die Finger lassen möchte. Da muss man dann eben auch damit leben, dass die Weinkenner dieser Welt gerne mal die Nase rümpfen, wenn die Region Apulien genannt wird. Auch wenn viele Gewächse, die man vor Ort entdecken kann, genau dieses Naserümpfen mal so gar nicht verdient haben.

Copyright Titelbild: © emicristea/iStock

Dieser Artikel wurde weder gekauft noch vergütet. Er spiegelt ausschließlich meine eigene Meinung wider und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Gesetzte Links dienen Service-Zwecken und sind nicht kommerziell.

4 Kommentare

    1. Doch! Natürlich! Man muss halt nur ein wenig danach suchen. Und in einem Supermarkt wird man ihn wohl nur sehr, sehr selten finden. 😉

  1. Vorweg, Gratulation zu ihrem Weinblog.
    Mit Interesse lese ich ihren Artikel über Apulien und dabei fiel mir auf, dass sie so gar nichts zu Susumaniello schreiben. Leider kommt Apuliens Massenproduktion deutlicher zu Wort, als wie die Qualitätsweine, z.B. Es aus dem Weingut von Gianfranco Fino oder auch der 60 Sessantanni Old Vines Primitivo di Manduria u.v.a.

    Schön wäre, wenn Sie auch Empfehlungen an uns Leser vermitteln würden, denn darauf sind vor allem wir Weintrinker doch gespannt.

    1. Lieber Herr Kueng,

      vielen Dank für Ihr Feedback. Susumaniello habe ich tatsächlich rausgelassen, weil ich selbst erst drei Weine probiert habe, die mich allesamt aufgrund nicht gut eingebundener Säure nicht überzeugt haben. Apulien wird halt leider stark von der Massenproduktion dominiert. Den Hinweis mit mehr Weintipps nehme ich für meine nächsten Texte zu Anbaugebieten aber sehr gerne auf. Und wenn ich diesen Text irgendwann aktualisiere, kommen dann auch hier Empfehlungen fernab der Masse.

      Herzliche Grüße
      Nicole Korzonnek

Kommentar verfassen