Skizze von einem Weinberg, der von der Reblaus befallen ist

Reblaus – Geschichte einer Katastrophe

Sie kam aus den Vereinigten Staaten und vernichtete von England und Frankreich aus die Rebflächen dieser Welt. Die Reblaus. Doch wie konnte so ein klitzekleines Tierchen den Weinbau rund um den Globus derart in die Knie zwingen? Schauen wir uns das mal genauer an!

Es ist schon eine ziemliche Knallergeschichte, die vor allem ab Mitte des 19. Jahrhunderts die Weinwelt in einen Schockzustand versetzte. Da kam die kleine Reblaus und vernichtete bis 1920 2,5 Millionen Hektar Rebfläche in Europa. Das waren damals 80 Prozent aller Reben! Und bis heute gibt es kein Mittel, um die Reblaus zu töten. Man kann sie nur umgehen.

So geht die Geschichte grob. Hört sich einfach an, ist in der Tat aber recht komplex. Deswegen dröseln wir das alles einmal auf. Schauen wir uns mal an, wie die Reblaus funktioniert und was sie mit der Rebe macht. Außerdem werfen wir einen Blick auf den chronologischen Ablauf und schauen uns den aktuellen Stand der Dinge an. Los geht’s!

Reblaus: Wer sie ist und was sie macht

Der wissenschaftliche Name der Reblaus ist Daktulosphaira vitifoliae. Den meisten Weinliebhabern wird sie aber unter dem Namen Phylloxera vastatrix bekannt sein, weil sie zu der Familie der Zwergläuse gehört. Sie ist gelb – und kaum 1,5 Millimeter groß. Der Lebenszyklus der Reblaus ist sehr komplex. Es gibt sie in verschiedenen Entwicklungsstadien, in denen sie jeweils auch unterschiedliche Bereiche eines Rebstocks befällt. In der kalten Jahreszeit ruhen die Nachkommen etwa in Form eines Wintereis im Stamm, im Frühling befallen die geschlüpften Insekten dann die Blätter und legen dort weitere Eier.

Blattgallen der Reblaus in einer Nahaufnahme
So sehen von der Reblaus befallene Blätter aus. ©Joachim Schmid/WikiCommons

Einige Rebläuse entwickeln sich zu Nymphen mit Flügeln, andere wiederum lassen sich einfach nur zu Boden fallen und graben sich tief in die Erde ein. Dort überwintern sie erst einmal. Und wenn dann der nächste Frühling kommt, wird es für die Rebe richtig gefährlich. Denn die Reblaus knabbert sozusagen die Wurzeln an. Dadurch wird dem Stock der Saft entzogen. Außerdem dringt die Galle der Reblaus, die sie beim Fressen bildet, in die Pflanze ein. So wird der Rebstock mehr und mehr geschwächt, bis er schließlich stirbt.

Von Reben-Spezies und Resistenzen

Um zu verstehen, warum die europäischen Reben derart wehrlos gegen die Reblaus sind, müssen wir einen kleinen Ausflug in Biologie machen. Rebe ist nämlich tatsächlich nicht gleich Rebe. Es gibt verschiedene Spezies. Da wäre zum Beispiel die Edelrebe, die hier in Europa der Reblaus wehrlos ausgeliefert war (und ist). Die Vitis vinifera. Zu dieser Spezies gehören alle Rebsorten, die wir so kennen. Vom Riesling über den Pinot Noir bis hin zu Grenache, Sangiovese und und und.

Eine weitere Spezies ist zum Beispiel die Amerikanerrebe, die – ihr Name lässt es bereits vermuten – aus den Vereinigten Staaten stammt. Sie ist eher eine Nutzrebe, aus deren Sorten meist Tafeltrauben oder aber Fruchtsaft und Gelée gemacht werden. Qualitativ hochwertige Weine entstehen aus ihr indes nicht. Doch die Amerikanerrebe hat einen großen Vorteil. Die Reblaus vergreift sich nämlich nicht an ihren Wurzeln. Sie ist resistent. Ein Umstand, der später hier noch eine sehr, sehr wichtige Rolle spielen wird. An dieser Stelle ist es erstmal nur gut zu wissen, dass die Reblaus bis dahin gar nicht auffiel. Sie tummelte sich an amerikanischen Reben, verursachte aber keinen Schaden. Also hatte sie auch niemand so wirklich auf dem Schirm.

Nachbildungen der Phylloxera in einem Glaskasten
Vergrößerte Darstellungen der Reblaus in ihren unterschiedlichen Entwicklungsstadien. © Enfo/WikiCommons

Wie die Reblaus nach Europa kam

Nun liegt es in der Natur des Menschen, neugierig zu sein. Vor allem Forscher haben ja durchaus diese Eigenschaft. Ein englischer Biologe pflanzte deswegen Anfang der 1860er-Jahre in seinem Gewächshaus in Westlondon Amerikanerreben neben europäischen Edelreben. Er wollte herausfinden, ob sich die Qualität der amerikanischen Pflanzen durch die Nähe vielleicht steigern ließe. So weit kam er aber gar nicht, denn es trat ein ganz anderes Phänomen auf: die europäischen Reben wurden krank. 1836 berichtete das Magazin “Gardener’s Chronicle” über den Fall. Die Meldung verpuffte, niemand nahm sie wahr.

Von der Wurzelreblaus verursachte Nodositäten auf Rebwurzeln
Von der Wurzelreblaus verursachte Nodositäten auf Rebwurzeln. ©Joachim Schmid/WikiCommons

In der Zwischenzeit gelangten die ersten amerikanischen Reben nach Frankreich. Und hier nahm das Unheil dann seinen Lauf. Erstmals beobachteten Winzer 1864 in Roquemaure an der südlichen Rhône, dass ihre Reben krank wurden und schließlich starben. Als die Reblaus dann das Bordeaux erreichte, bekam sie endlich die Aufmerksamkeit, die sie verdiente. Nämlich die komplette. Schleichend hatte sie es geschafft, die größte Katastrophe der Weinbaugeschichte in Europa auszulösen. Dabei hatte man gedacht, dass das größte Kreuz der Mehltau wäre, der 1850 die Winzer auf Trab hielt. Weit gefehlt!

Erste Anti-Reblaus-Maßnahmen

Natürlich machte die Reblaus nicht vor Ländergrenzen halt. Nach und nach griff sie Rebflächen auf der ganzen Welt an. Bereits 1867 tauchte sie erstmals in Klosterneuburg im österreichischen Wagram auf. In Deutschland kam sie 1874 in der Nähe von Bonn an. Nämlich in der Gartenanlage Annaberg. Die Mosel war ab 1907 betroffen. Wie groß das Problem war, fand man aber tatsächlich bereits in den 1860er-Jahren heraus, als versuchsweise europäische Reben in Kalifornien gepflanzt wurden. Und auch dort wegstarben. Damit war klar: es lag nicht an den Reben selbst, sondern tatsächlich an der kleinen Laus, die sie befiel. Der Übeltäter war also ausgemacht. Ihm sollte es nun an den Kragen gehen!

Deswegen wurde 1870 die Kommission zur Bekämpfung der Reblauskrise in Frankreich gegründete, die von dem Chemiker Jean-Baptiste Dumas geleitet wurde. 1885 übernahm dessen Job übrigens niemand Geringerer als Louis Pasteur. So groß die Leistung Pasteurs als Wissenschaftler auch war – an der Reblaus scheiterte er. Ebenso wie alle anderen Forscher, die eine chemische Bekämpfungsmethode entwickeln wollten. Die Reblaus überlebte alles.

Eine Rebenwurzel mit Phylloxera-Befall
Befallene Rebwurzel. ©Joachim Schmid/WikiCommons

Reblaus: Erster Lichtblick

Dabei praktizierte zur gleichen Zeit Jules Émile Planton mit seinen Schülern bereits die Lösung in Montpellier. Sie propften nämlich Vitis-vinifera-Reben auf den Stamm samt dessen Wurzeln von Amerikanerreben. Sprich: sie veredelten die amerikanische Spezies. Und siehe da: die gepflanzten Reben blieben gesund, wuchsen und gedeihten prächtig. Nun muss man aber den vinophilen Stolz der Franzosen mit einbeziehen. Das konnte, das durfte nicht die Lösung sein! Diese qualitativ minderwertige Amerikanerrebe mit dem Edelreiser einer Vitis vinifera? Niemals! Man ging von einer Qualitätsminderung aus. Die allerdings nicht eintrat.

Wurzeln und Stamm einer Rebe sind schließlich nur die Transportmittel für Nährstoffe und all den anderen Merkmalen, die aus dem Boden aufgenommen werden. Der Geschmack kommt von der jeweiligen Rebsorte selbst. Daran änderte auch die Veredelung nichts. Trotzdem dauerte es noch eine ganze Weile, bis die Nutzung dieser Unterlagsrebe Standard wurde. Das Verfahren setzte sich tatsächlich erst im Jahr 1910 durch.

Gefahr gebannt?

Zugleich begannen andere Forschungen. Denn es fiel auf, dass einige Reben nicht von der Reblaus befallen wurden. Und zwar jene, die in sandigen Böden gedeihten. Je höher der Sandanteil, desto sicherer der Schutz vor der Reblaus. Genau deswegen gibt es bis heute noch überall auf der Welt kleine reblausfreie Oasen mit wurzelechten Reben. Mal ganz davon abgesehen, dass Chile und Zypern sogar komplett von der Reblaus verschont blieben. Also Gründe werden die recht isolierte Lage sowie die hohen Berge angenommen. Andere Länder wie Australien setzen hingegen auf strenge Quarantänemaßnahmen, um die Ausbreitung der Reblaus zu verhindern. Denn ja, die Gefahr ist noch lange nicht gebannt.

Kalifornischer Weingarten mit Reblausbefall
Von der Reblaus befallener Weingarten in Kalifornien der 1980er-Jahre. ©Bauer Karl/WikiCommons

Neue Reblauskatastophe in Kalifornien

Inzwischen wird sehr viel Zeit und Geld in die Reblausforschung gesteckt. So züchtet man zum Beispiel gezielt Unterlagsreben, die noch resistenter sind als andere. Wie bei den Rebsorten gibt es auch bei den Unterlagsreben verschiedene Klone mit unterschiedlichen Eigenschaften, aus denen man – je nach Bodentyp und Bedarf – wählen kann. Doch leider entwickelt sich auch die Reblaus weiter. Und das kann dann zu neuen Katastrophen führen. Besonders verheerend traf es zum Beispiel Kalifornien in den 1980er-Jahren. Dort verwendete man den Klon AxR1 als gängige Unterlagsrebe. Und genau diese wurde von der Reblaus angegriffen! Tausende Hektar Rebfläche mussten gerodet und neu bepflanzt werden. Der Schaden belief sich auf über eine Milliarde Dollar. Ein herber Schlag für die kalifornische Weinindustrie.

Um die Jahrtausendwende erreichte die Reblaus zudem Neuseeland, wo sie sich von Norden aus ausbreitete. Erst im Jahr 2012 kam sie im südlichen Weinbaugebiet Central Otago an. Die Winzer dort sahen sie ja aber zum Glück kommen und konnten sich dementsprechend vorbereiten, indem sie für neue Weingärten ausschließlich Weinstöcke mit Unterlagsreben verwendeten. Auch heute kann es immer noch ab und zu vorkommen, dass sich eine Unterlagsrebe als nicht ganz so resistent erweist. Bis dato ist die einzige Lösung: rausreißen und neu pflanzen. Ihr seht: das Thema Reblaus ist noch längst nicht durch! Falls ihr euch vielleicht mal näher mit der Reblaus beschäftigen möchtet, habe ich noch einen Lektüretipp für euch. Denn Christy Campbell hat sich in seinem (leider nur auf englisch erschienenen) Buch “Phylloxera” ausführlich mit dem kleinen Biest befasst.

Copyright Titelbild: © Karl Müller: Weinbau-Lexikon, 1930/WikiCommons

*Dieser Text erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Gesetzte Links sind nicht kommerziell, sondern dienen ausschließlich Service-Zwecken.

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2 Kommentare

  1. Moin Nicole,
    Super Blog, schon viele Beiträge von dir mit großem Interesse gelesen. Sehr gut recherchiert und mit leichter Feder geschrieben.
    Mach weiter so.
    Liebe Grüße Stefan Schmidt
    Weingut Schloß Rattey
    PS. Schnell ändern: Präteritum von gedeihen ist gediehen und gedieh.

    1. Moin Stefan,
      vielen Dank für das tolle Feedback! Wobei mir die falsche Zeitform ja gerade schon ein wenig peinlich ist. Vielen Dank für den Hinweis. Ist korrigiert. An beiden Stellen. 😉
      Herzliche Grüße
      Nicole

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