Silvaner Alte Reben: Markus Schmachtenberger und die genetische Vielfalt
Eigentlich schreibe ich hier ja nicht über einzelne Weine. Aber wenn ein Gewächs eine interessante Geschichte hat, mache ich da gerne mal eine Ausnahme. Und um genau eine solche handelt es sich bei dem Silvaner Alte Reben vom Weingut Markus Schmachtenberger aus Franken. Ein Ortsbesuch.
“Wenn du dich hier den ganzen Tag in der Steillage abrackerst, dann musst du abends den Wein, der aus diesen Reben entsteht, unbedingt trinken. Damit du weißt, warum du diese Mühen auf dich nimmst”, sagt Markus Schmachtenberger, während er genau in dieser Steillage in der gleißenden Juni-Sonne steht. Gemeinsam blicken wir vom Sonnenstuhl in Randersacker, wo ich krampfhaft versuche, aufgrund der extremen Steigung im Filetstück der Lage auf dem steinigen Muschelkalkboden nicht auszurutschen. Aber was tut man nicht alles, wenn man einen Wein näher ergründen möchte. Vor allem, wenn es sich dabei um solch ein beeindruckendes Gewächs wie den Silvaner Alte Reben handelt!
Da wären wir also endlich! Seitdem ich im vergangenen Jahr über Markus Schmachtenberger und seine Weine geschrieben habe, hat mich sein Silvaner Alter Reben nicht mehr losgelassen. Und zwar nicht nur, weil das Gewächs mit einer enormen Tiefe und Komplexität und Würze glänzt. Auch nicht, weil der Winzer seinen Wein so absurd günstig verkauft. Sondern weil mich die Geschichte hinter dem Gewächs einfach nicht losgelassen hat. Deswegen wollte ich den kleinen Weinberg, in dem eben jener Silvaner Alte Reben entsteht, selbst sehen, als ich im Juni 2023 in Franken unterwegs war.
Zufallsfund: Silvaner Alte Reben
Seine “Hassliebe” nennt der ansonsten sehr bedächtige Winzer seinen Weinberg. Und das mit Fug und Recht. “Für den halben Hektar brauchst du fast den ganzen Tag, wenn du hier den Boden bearbeitest”, sagt Markus Schmachtenberger. Genau das ist dann auch der Grund, warum derart alte Flächen im Laufe der vergangenen Jahrzehnte überall im fränkischen Weinbau rausgeflogen sind. Oder sie sind halt einfach in Vergessenheit geraten. Mit der Zeit hat man sie rausgehackt, da sie niemand mehr bearbeiten wollte.
Markus Schmachtenberger indes ist einen anderen Weg gegangen. Wenn auch ein wenig durch Zufall. Als er 2006 im elterlichen Betrieb einstieg und direkt die volle Verantwortung übernehmen musste, weil sein Vater nach einer Bandscheiben-Operation komplett ausfiel, wusste er nämlich gar nichts von der alten Rebanlage mit den 50 Jahre alten Silvaner-Stöcken. Als er dann schließlich auf sie aufmerksam wurde und sein Vater ihm sagte, dass die Trauben aus der doch recht marode Anlage immer in den Gutswein kämen, fasste der junge Winzer sofort einen Entschluss. Er wollte den Weinberg wieder aufpäppeln.
Genetische Vielfalt geht vor
Andere Winzer hätten den Weingarten wahrscheinlich gerodet und neu bestockt – alte Reben hin oder her. Doch Markus Schmachtenberger war schon immer ein sehr genauer Beobachter, der nicht nur Details, sondern auch das Große und Ganze inklusive der Zusammenhänge sieht. Genau deswegen wollte er die Silvaner-Reben nicht nur wegen ihres Alters, sondern vor allem wegen ihrer genetischen Vielfalt bewahren.
“Da drüben hast du sehr viel Gelben Silvaner stehen, dort ist Grüner Silvaner. Und da hinten stehen zwei gesunde Stöcke Roter Silvaner, und dort hast du Blauen Silvaner!” Markus Schmachtenberger zeigt begeistert derart schnell auf die unterschiedlichen Stellen, dass ich mich anstrengen muss, um mitzuhalten. Moment einmal! Ich dachte, Silvaner ist Silvaner! Doch das ist, wie so häufig in der Weinwelt, nur die halbe Wahrheit. Dröseln wir das also erst einmal auf, bevor wir Markus Schmachtenberger wieder in den Sonnenstuhl zu seinem Silvaner Alte Reben folgen.
Die vier Farben des Silvaners
Am häufigsten ist tatsächlich der Grüne Silvaner mit seinen grasigen und heuigen Noten. Ein typischer Silvaner eben – wie man ihn so kennt. Es sind seine unterschiedlichen Klone, die den deutschen Weinbau dominieren, wenn es um Silvaner geht. Dann kommt der Gelbe Silvaner, der früher reift, weniger Säure mitbringt und für gelbfruchtige Nuancen in einem Wein sorgt. Der Blaue Silvaner indes ist da schon rarer. Auf Muschelkalk entwickeln die Trauben sehr würzige und mineralische Noten. Der Rote Silvaner ist indes eine echte Seltenheit. “Ich kann den Roten Silvaner eigentlich gar nicht so richtig definieren, weil ich ihn noch nie eigenständig ausgebaut habe”, sagt Markus Schmachtenberger.
Bis er das machen kann, wird es wohl auch noch eine Weile dauern. Womit wir wieder im Sonnenstuhl und beim Silvaner Alte Reben wären. Im Frühjahr 2007 nahm der Winzer den maroden Weingarten in Angriff. Eigenhändig entfernte er den alten Drahtrahmen. Die Reben blieben dann einfach so über Winter drin. Erst dann schlug Schmachtenberger neue Stickel und zog einen neuen Drahtrahmen auf, um den Weinberg so dauerhaft zu erhalten.
Silvaner Alte Reben und die eigene Selektion
Damit schuf er die Basis für seinen heutigen Wein. Denn natürlich landeten die Trauben nicht mehr im Gutswein, sondern wurden eigenständig ausgebaut. Im Silvaner Alte Reben eben. Doch eigentlich war das ja erst der Anfang etwas viel Größerem. Denn 2009 begann Markus Schmachtenberger, seine Silvaner-Reben selbst zu selektieren. “Wir haben zwei Selektionen gemacht. Eine für einen Premium-Klon, eine für den Basis-Klon. Und wenn wir neuen Silvaner pflanzen, dann nehmen wir ausschließlich das genetische Material aus dieser Fläche”, erklärt der Winzer, während seine Augen stolz funkeln.
Wobei eine eigene Selektion schon ein wenig Vorlauf benötigt, wie Markus Schmachtenberger verrät: “Wir geben unser genetisches Material an die Rebschule, die pfropft das für uns. Und nach zwei Jahren bekommen wir dann unser genetisches Material als Rebstöcke zurück.” Was für ein Aufwand! Das machen nicht viele Winzer. Und Markus Schmachtenberger darf das Material nach einem Virustest auch nur für die eigene Vermehrung verwenden. Er darf es weder verkaufen, noch in Verkehr bringen. Der Vorteil ist allerdings, dass er eine unwahrscheinlich tiefe genetische Bandbreite im Weingarten stehen hat, die man mit den gängigen modernen Klonen so tatsächlich absolut nicht vergleichen kann.
Alter vor Schönheit – immer eine gute Idee
Wie sehr sich die alten Reben in Schmachtenbergers Weinberg von neueren Klonzüchtungen, die inzwischen überall gepflanzt werden, unterscheiden, sieht man übrigens sehr gut an den Blättern. Die Blätter der Standard-Klone sind bei Silvaner kreisrund. In Markus Schmachtenbergers Weingarten indes findet man nur Reben mit Blättern, die drei- bis fünflappig sind. “Das ist so typisch für diesen alten Silvaner-Typ”, sagt Schmachtenberger.
Wobei es bei der Optik natürlich nicht aufhört. Denn schließlich ist es nicht nur dem Alter der Reben an sich, sondern eben auch dieser genetischen Vielfalt zu verdanken, dass der Silvaner Alte Reben vom Weingut Schmachtenberger eine derart charmante und abwechslungsreiche Tiefe hat. Der Winzer nutzt hier also einen großen Vorteil der Rebsorte. Denn Silvaner ist – wie ja auch die Burgunder-Familie – sehr mutationsfreudig. Nur, dass man hier die Mutationen eben nicht in einzelne Rebsorten unterteilt, sondern sie alle zu einer zählen. Auch wenn jede Farbe wieder andere Charaktereigenschaften hat.
Silvaner Alte Reben 2022: Eine Verkostung
Markus Schmachtenberger kennt diese Eigenschaften nicht nur wie seine Westentasche, sondern weiß auch gekonnt mit ihnen umzugehen. Inzwischen blicken wir wieder gemeinsam auf den Main. Dann stupst der Winzer mich an. “Willst du den Wein probieren? Ich habe einen eingekühlten Bocksbeutel dabei!” Eigentlich gibt es ja nichts Besseres, als einen Wein direkt an dem Ort, an dem er entsteht, zu verkosten. Aber wir stehen bei 32 Grad in der prallen Sonne. Als bekennende Eisprinzessin kann mein Körper mit solch hohen Temperaturen nichts anfangen. Also wieder zurück in die ebenso minimalistisch wie auch herzlich-warm designte Vinothek.
Und genau dort komme ich aus dem Schwelgen dann gar nicht mehr heraus. Sobald man den Silvaner Alte Reben (in meinem Fall Jahrgang 2022) im Glas hat, strömen einem Anklänge von reifer Birne, gelbem Apfel und zitrische Noten in die Nase. Am Gaumen dann leicht buttrig, mit einer sehr schönen Cremigkeit und einer lebendigen Säure. Nach und nach treten mineralische Noten ebenso in den Vordergrund wie ein schöner Grip und eine sehr harmonische Kräuterwürze. Hier ist alles perfekt ausbalanciert, nichts brüllt oder ist laut. Und trotzdem spricht der Wein ganz deutlich von seiner Herkunft.
Für alle, die gerne Schnäppchen machen
Es versteht sich von selbst, dass ich direkt eine Kiste vom Silvaner Alte Reben gekauft habe. Er macht schließlich nicht nur zu Spargel eine tolle Figur, sondern passt auch zu allerlei Gerichten mit Pilzen oder Kürbis, um die Jahreszeiten mal chronologisch fortzuführen. Und noch kostet der Wein knapp unter 10 Euro – ab Hof oder im Online-Shop des Weinguts. Bei dieser Güte! Klar, den Preis wird Markus Schmachtenberger aufgrund der steigenden Kosten so nicht mehr lange halten können. Aber selbst wenn das Gewächs mal 12 Euro kosten sollte, ist es für mich immer noch ein ultimatives Schnäppchen bei dieser hohen Güte. Wer da nicht kauft, ist selbst Schuld. 😉
Copyright Titelbild: © AK/Bottled Grapes
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Sehr schöner Artikel zu einem spannenden Thema. Danke für das viele Wissen und diesen genialen „Geheim“-Tipp
Danke, Sebastian. Und sehr gerne. Die anderen Silvaner lohnen sich übrigens auch sehr. 😉