Alte Gamay-Reben im französischen Beaujolais

Gamay: Unterschätzte rote Rebsorte?

Was wäre das Beaujolais ohne die rote Rebsorte Gamay? Nichts! Und trotzdem nimmt man die Traube nach wie vor nicht ganz so ernst. Die Gründe sind in der Vergangenheit zu finden. Stellt sich nur die Frage, ob die Zukunft vielleicht strahlender sein könnte. Wagen wir einen Blick in die Glaskugel!

Für mich ist die rote Gamay ja eine waschechte was-wäre-wenn-Rebsorte. Was wäre wohl gewesen, wenn man sie nicht aus dem Burgund vertrieben hätte? Oder wenn Georges Dubœuf mit seiner Beaujolais-Nouveau-Kampagne nicht derart erfolgreich gewesen wäre? Ob man Gamay schon viel früher ernst genommen hätte? Vielleicht würden wir ja den Beaujolais Crus huldigen – und eben nicht den legendären Pinot-Noir-Gewächsen aus dem Burgund? Aber fangen wir mal von vorne an!

Bei Gamay handelt es sich um eine natürliche Kreuzung von Pinot Noir (Spätburgunder) und Gouais Blanc, die auch als Heunisch bekannt ist. Gamay tauchte erstmals im 3. Jahrhundert in dem Örtchen Saint-Aubin in der Côte d’Or im Burgund auf. Von dort verbreitete sie sich in der kompletten Region – und wurde von Jahrhundert zu Jahrhundert bei den Winzern immer beliebter. Und zwar derart, dass die Gamay fast schon ihr Elternteil Pinot Noir zu übertrumpfen drohte. Die Gründe lagen bereits damals auf der Hand. Gamay war und ist härter im Nehmen. Sie ist nicht so empfindlich, einfacher in der Handhabung und bringt auch noch verlässlicher einen konstanten Ertrag hervor. Dieser ist dann übrigens auch noch größer als bei Pinot Noir. Für die Winzer im Spätmittelalter waren das extrem gute Argumente.

Blick zwischen zwei Rebzeilen mit Gamay im französischen Beaujolais
Gamay von alten Reben – ein Träumchen! © Gael Fontaine/iStock

Gamay-Verbot im Burgund!

Dementsprechend machte Gamay dem Pinot Noir im Burgund nicht nur mächtig Konkurrenz, sondern drohte ihn sogar zu überholen. Doch am 31. Juli 1395 war Schluss damit! Denn damals erließ Philipp der Kühne, seines Zeichens Herzog von Burgund, ein Dekret, in dem er feststellte, dass Gamay dem Genuss nicht zuträglich sei und dementsprechend nicht mehr angebaut werden dürfe. Klingt wie reine Willkür? War es aber nicht. Der Herzog von Burgund folgte damit eigentlich nur dem Vorbild von Karl dem Großen. Dieser hatte bereits im achten Jahrhundert in seinem Reich alle Heunisch-Reben rausreißen lassen, damit die fränkischen Sorten, zu denen eben auch Pinot Noir gehört, im Fokus stehen. 

Also kein Gamay mehr fürs Burgund. Die Winzer befolgten das Dekret. Tschüssi, Gamay. Hallo, Pinot Noir und Chardonnay. Doch im Laufe der Jahrzehnte und Jahrhunderte gab’s dann vereinzelt doch immer wieder ein paar Sturköpfe, die der Gamay-Traube den Vorzug gaben und sie anbauten. Die Herzöge von Burgund erließen dementsprechend in den Jahren 1567, 1725 und 1731 weitere Dekrete, die den Gamay-Anbau verboten. Womit man die Rebsorte quasi ins Exil schickte. Nämlich ins benachbarte Beaujolais, das damals noch nicht zum Burgund gehörte.

Eigenschaften und Geschmack von Gamay

Im Beaujolais empfing man Gamay mit offenen Armen. Die Region war (und ist) recht kühl. Da brauchte man eine früh reifende Traube. Nun, Gamay reift früh. Sie ist zwar ein wenig empfindlich, wenn es mal späten Frost gibt. Aber das kommt im Beaujolais so gut wie nie vor. Gut, im Spätsommer und Frühherbst darf es auch nicht zu viel regnen. Denn dann ist Gamay ein gefundenes Fressen für allerlei Pilzkrankheiten. Doch auch dagegen gibt es schließlich diverse Mittel. Und dann ist Gamay ja auch noch recht ertragreich. Gerade, wenn man eher auf Masse setzen möchte, ist das natürlich ideal.

Blick auf die Gamay-Weingärten im französischen Beaujolais im Herbst bei Sonnenaufgang
Hier hat Gamay eine finale Heimat gefunden: Beaujolais. © Gael Fontaine/iStock

Mal ganz davon abgesehen, dass sie mit ihrem fruchtig-floralen Charakter einfach leicht zu lieben ist. Himbeere, Kirsche und Brombeere tanzen hier ein charmantes Duett mit Veilchen und Flieder. Und dank der sehr dünnen Beerenschale bringt Gamay nur sehr wenig Tannine mit, dafür aber eine hohe Weinsäure. Für die Beaujolais-Winzer war das Liebe auf den ersten Blick. Außerhalb der Region hatte Gamay aber schon schnell einen Ruf als Rotwein, der eigentlich gar kein Rotwein ist, weg. Was ja auch irgendwie stimmt. Die Tannine sind manchmal derart marginal, dass man sie kaum wahrnehmen kann. Und weil die Beerenschalen so dünn sind, ist das Rot des Weins halt auch besonders hell. Wobei sich das natürlich auch im Nachhinein ändern lässt.

Gamay ist nicht gleich Gamay!

An dieser Stelle muss ich etwas ausholen. Die Rebsorte heißt nämlich offiziell Gamay Noir à Jus Blanc (schwarze Gamay mit weißem Saft). Das ist sehr wichtig. Denn die Traube neigt zu Mutationen. Diese haben in der Regel ein dunkles Fruchtfleisch und werden den sogenannten Färbertrauben zugeordnet. Und weil es halt Mutationen von Gamay sind, tragen sie allesamt auch Gamay mit im Namen. Obwohl sie geschmacklich und charakterlich vollkommen anders sind.

Weil im 18., 19. und teilweise sogar im 20. Jahrhundert die Weingesetzte noch nicht so streng wie heute waren, mischte man den Saft dieser Färbertrauben gerne mal mit dem Most der Original-Gamay, damit man einen dunkleren Wein hatte. Gut, das ging auf Kosten des Geschmacks, sah aber wenigstens seriöser aus.

Zum Glück hörte man mit dem Gepansche aber auf, als man eine ganz besondere Weinbereitungsmethode entdeckte, die den fruchtigen Charakter bei den Gamay-Weinen betonte. Nämlich die Macération carbonique. Zu Deutsch: Die Kohlensäuremaischung.

Drei Weingläser mit Rotwein unterschiedlicher Farbintensität in einer Reihe hintereinander
Gamay mag ein wenig blasser als andere Rotweine sein, aber interessant ist er trotzdem. © kuremo/iStock

Kohlensäuremaischung kurz erklärt

Bei dieser kommen die intakten Trauben in einen Behälter, der dann mit Kohlensäure aufgefüllt wird, sodass kein Sauerstoff mehr in den Zwischenräumen ist. Dadurch beginnt die Gärung direkt in jeder einzelnen Beere. Wenn der Alkoholgehalt auf diese Weise auf zwei Prozent ansteigt, platzen die Beerenschalen auf und der Most gärt dann ganz normal weiter.

Durch diese Methode kann man noch mehr Aromen extrahieren und den fruchtigen Charakter betonen. Außerdem sind Anklänge von Banane und Zimt für die Kohlensäuremaischung typisch. Ach ja, und wenn der Most bei niedrigen Temperaturen fermentiert, dann findet man auch Nuancen von Eisbonbon oder Kaugummi im Wein.

Dank der Kombination aus vordergründiger Fruchtigkeit und wenigen Tanninen fand der Beaujolais schnell in der breiten Masse sehr großen Anklang. Paris, Frankreich, Europa – alle liebten Gamay-Weine plötzlich sehr. Allerdings nahm diese Liebe in den 1970er-Jahren fast schon groteske Züge an. Um das besser zu erklären, müssen wir aber erst einmal einen kleinen Ausflug in die 1920er-Jahre machen.

Gamay auf Beaujolais-Steroiden

Denn damals kam mit dem Beaujolais Nouveau ein sehr massenkompatibler Gamay-Stil auf. Hierbei handelte es sich um einen Jungwein, der mittels Kohlensäuremaischung besonders früh auf den Markt kam. Gut, ursprünglich kam er gar nicht auf den Markt, sondern sollte als schlichter Landwein nur ein Genuss für die Erntehelfer sein. Wie es der Zufall aber so wollte, waren auch schnell die Weinliebhaber Frankreichs sehr schnell sehr heiß auf diesen Beaujolais Nouveau. Das ging zwei Jahrzehnte richtig gut und lief bestens. Und dann kam es Mitte der 1940er-Jahre zu zwei außergewöhnlich heißen Sommern im Beaujolais. Die Folge: Die Gamay-Trauben bildeten viel mehr Zucker als gewöhnlich.

Blick auf die Weinberge im französischen Beaujolias, wo vor allem die rote Rebsorte Gamay angepflanzt wird
Blick auf den Cru Brouilly im Beaujolais. © Gael Fontaine/iStock

Und da ein Beaujolais (auch als Nouveau) halt immer trocken ist, gärten die Winzer den Most durch. Dadurch entstanden dann kleine Alkoholmonster mit 15 Volumenprozent. Das Problem: Die Menschen liebten diesen aufgepumpten Beaujolais! Und weil die Winzer halt Geld verdienen wollten, zuckerten sie den Most dann in normalen Jahrgängen auf, damit sie diese hohen Alkoholwerte auch so erreichen konnten. Gamay auf Weinbau-Steroiden, sozusagen. Dadurch verlor die Rebsorte ihren natürlichen Charme. Was dann wiederum zur Folge hatte, dass die Menschen über Beaujolais Nouveau die Nase rümpften.

Georges Dubœuf und der Nouveau-Triumph

Womit wir jetzt endlich in den 1970ern und beim Winzer Georges Dubœuf wären. Denn es war Georges Dubœuf, der den Ruf von Gamay generell und Beaujolais Nouveau im Speziellen wieder retten wollte. Dank Kohlensäuremaischung und anderer Kellertechniken, durch die er den Wein besonders schnell auf die Flaschen ziehen konnte, machte er aus dem ersten Beaujolais-Nouveau-Verkaufstag ein echtes Happening. Jeden dritten Donnerstag im November waren die Kameras der Welt auf Georges Dubœuf gerichtet. Rund um den Beaujolais Nouveau richtete er Festivals aus, ließ Promis als Markenbotschafter auftreten und schuf durch ein höchst geschicktes Marketing echte Begehrlichkeiten. In den 1970er- und 1980er-Jahren wollte alle Welt diesen ebenso charmanten wie beliebigen Jungwein im Glas haben. Was für ein geniales Marketing!

Doch in den 1990ern begann Georges Dubœufs Stern zu sinken. Die Welt hatte den harmlosen Wein etwas über. Was nicht zuletzt daran lag, dass sich im Beaujolais mit den Winzern Marcel Lapierre, Jean Foillard, Jean-Paul Thévenet und Guy Breton eine Gamay-Gegenbewegung formierte. Nach dem Vorbild von Jules Chauvet, dem “Vater des Naturweins”, verzichteten sie auf hohe Erträge im Weingarten und schnelle Manipulationen im Keller. Statt Massenlieblinge bereiteten sie Charakterköpfe, die von ihrer Herkunft erzählen. Gamay mit Ernst und Tiefsinn sozusagen. Statt im Edelstahl, bauten sie ihre Weine im Holzfass aus. Immer mehr Beaujolais-Winzer folgten ihrem Vorbild. Die Kohlensäuremaischung wurde mancherorts sogar gegen eine reguläre Gärung ausgetauscht! Und plötzlich stand nicht mehr der Beaujolais Nouveau im Zentrum des Interesses, sondern eben die zehn Crus, die das Beaujolais zu bieten hat – und in denen Gamay teilweise höchst unterschiedliche Eigenschaften entwickelt.

Zwei Rotweingläser und eine Holzplatte mit Käse
Käse und Gamay? Eine mega Kombi! © Zulfiska/iStock

Gamay und der Rest der Welt

Aber über die Crus des Beaujolais schreibe ich irgendwann an einer anderen Stelle. Denn mit dem kompletten Fokus auf diese Region mag man ja glauben, dass Gamay ausschließlich dort zu finden ist. Was natürlich nicht stimmt. Denn auch an der oberen Loire, nämlich in der Appellation Touraine läuft die rote Traube ebenso zur Hochform. Bis auf Bordeaux, Korsika und dem Elsass kann man Gamay übrigens in jeder französischen Weinregion angebaut. Und eh! Frankreich ist und bleibt das Gamay-Epizentrum. Von den weltweit 32.000 Hektar stehen hier nun einmal 30.000 Hektar. Und von diesen 30.000 Hektar findet man allein 60 Prozent im Beaujolais. Ich habe den Fokus halt nicht ohne Grund gewählt. 😉

Rund um Genf und im Kanton Wallis findet man in der Schweiz noch nennenswerte Gamay-Bestände. Auch in Bulgarien, Ungarn, Kanada, im kalifornischen Napa Valley und in Oregon wächst Gamay. Allerdings nur in verschwindend geringen Mengen. In ganz Südafrika macht die Rebfläche zum Beispiel gerade mal 19 Hektar aus – und die gehören fast alle dem Weingut Kleine Zalze. Damit ist und bleibt Gamay ein recht französisches Phänomen. Und zwar eins, das man durchaus auf dem Schirm haben darf. Ja, die Weine sind nicht so komplex wie ein Pinot Noir aus einem legendären Burgund-Cru. Trotzdem können sich die Cru-Gewächse aus dem Beaujolais durchaus sehen lassen. Ich persönlich jedenfalls bin inzwischen zu einem echten Gamay-Fangirl avanciert. Gerne mache ich vor allem zum Essen (Ente! Lamm! Pizza! Lasagne! Und manchmal sogar zu Lachs) eine Flasche auf. Ich mag diese schlanken und charmanten Weine, die durchaus seriös und ernsthaft daherkommen können, sehr! Du auch?

Copyright Titelbild: © Gael Fontaine/iStock

*Dieser Text wurde weder in Auftrag gegeben noch vergütet. Er erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und spiegelt ausschließlich meine persönliche Meinung wider. Gesetzte Links sind nicht kommerziell und dienen allein Service-Zwecken.

2 Kommentare

  1. Knackig geschriebener, toller Überblick zu dieser definitiv unterschätzten Rebsorte. Vielen Dank!

    In den Grands Crus de Beaujolais findet man für < 20 € Qualitäten, die im Burgund locker das Doppelte kosten.
    An der Oberen Loire und in der Schweiz gibt es noch den Gamay-Klon „Plant Robert“, den mensch auch mal probieren sollte. Ertragsärmer, kleinbeeriger und darum würziger.

    Á votre santé!

    1. So tief bin ich noch nicht im Thema drin, dass ich mich mit verschiedenen Gamay-Klonen beschäftigt hätte. Vielen Dank für die spannende Ergänzung. Da muss ich doch direkt mal gen Loire und Schweiz gucken.

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