Winzer erntet eine Traube per Hand während der Weinlese

Weinlese: Was Winzer jetzt gerade auf Trab hält

 

Vom idealen Zeitpunkt über die beste Uhrzeit bis hin zur Erntetechnik: Die Winzer müssen während der Weinlese sehr viele Entscheidungen treffen, die sich auf den zukünftigen Wein auswirken können. Schauen wir uns einfach mal an, was sie gerade alles wuppen.

Inzwischen hat in so ziemlich jeder europäischen Region die Weinlese begonnen. Den Anfang machte in der dritten Juli-Woche die DO Montilla-Moriles im spanischen Andalusien. Nur wenig später folgten weitere spanische und natürlich auch italienische und südfranzösische Regionen. Bis auf die österreichische Südsteiermark, wo einige Winzer via Instagram bereits verkündet haben, erst Mitte/Ende September mit der Lese zu starten (also das Bisschen, was von Hagelschlag und Co. nicht zerstört wurde), läuft die Traubenernte aber ansonsten überall auf Hochtouren. Wobei Hagel rund um Worms (Rheinhessen) am 12. September die Weinlese vorzeitig beendete. Einige Winzer haben da nach eigenen Aussagen einen Totalausfall. Und auch der Hagel Anfang August in der Wachau oder in Württemberg dürfte zu einer reduzierten Lesemenge führen.

Die Lese ist dieses Jahr also in manchen Regionen ein Wettlauf gegen die Zeit, während in anderen Regionen wie Nahe oder Franken das Wetter bei der Ernte gut mitzuspielen scheint. Ein großer Vorteil. Denn so kommen die Trauben im gewollten Zustand ins Kelterhaus. Genau diesen „gewollten Zustand“ schauen wir uns jetzt mal genauer an. Ein Winzer hat da nämlich vor und während der Weinlese viele Entscheidungen zu treffen, die sich dann auf die späteren Weine auswirken. Außerdem bekommt man in Social Media ja immer nur Ausschnitte der Arbeit gezeigt. Hier gibt’s dann halt einfach mal das ganze Bild. 😉

Mann schüttet seine Kiepe mit Weintrauben auf einem Laster aus
Weinlese bei Johannisberg. © Deutsches Weininstitut

Warum werden Trauben nicht alle gleichzeitig reif?

Dass die Winzer gerade alle unter Strom stehen, kommt nicht von ungefähr. Wann soll welche Rebsorte wo gelesen werden? Was da gerade passiert, ist ein logistischer Meisterakt. Denn Erntehelfer sowie Lesemaschinen und Traubenpresse sind ebenso endlich wie der Platz im Kelterhaus. Da muss schon alles sehr gut durchstrukturiert sein, damit die Weinlese reibungslos abläuft. Zum Glück haben die Weingüter aber nicht nur unterschiedliche Rebsorten, sondern auch Lagen.

Beides sorgt in Kombination dafür, dass die Weinberge zu unterschiedlichen Zeitpunkten gelesen werden. Da wäre erstmal die Rebsorte. Weiße Trauben haben dünnere Beerenschalen und reifen dementsprechend schneller aus. Deswegen liest man sie in der Regel vor den roten Rebsorten, die eine dickere Schale haben. Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel. Spätburgunder zum Beispiel hat eine viel dünnere Beerenschale als Cabernet Sauvignon oder Syrah. Und auf der anderen Seite reift Riesling generell sehr spät aus.

Handernte während der Weinlese in einem Weinberg
Hier werden die Trauben per Hand in die typischen Kiepen gelesen. © Deutsches Weininstitut

Haben auch die Lagen einen Einfluss auf die Weinlese?

Hinzu kommen dann noch die unterschiedlichen Lagen. Bei einer reinen Südausrichtung reifen die Trauben schneller als bei einer südwestlichen Ausrichtung. Und dann noch die Höhe! In der flachen Ebene kann generell am ehesten gelesen werden. Auch kann die Weinlese in der Mitte eines Steilhangs eher erfolgen, als zum Beispiel am Fuße der Lage. Weil die Sonne dort eben auch für eine schnellere Reife gesorgt hat. Je höher sich ein Weinberg befindet, desto kühler ist es. Und desto langsamer reifen auch die Trauben aus.

Genau deswegen muss ein Winzer für jede einzelne Parzelle individuell entscheiden, wann dort die Weinlese beginnt. Erntet er die Trauben zu früh, können sie noch unreif sein. Die Weinbeeren haben also noch zu viel Säure und zu wenig Zucker. Das wiederum führt dann zu einem sauren Wein mit sehr vordergründigen grünen und grasigen Noten.

Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel. Denn für Schaumweine ist eine hohe Säure sehr wichtig. Deswegen sind die meisten Sekthäuser wie Raumland in diesem Jahr auch schon mit der Lese durch. Wobei die Trauben trotzdem reif sind. Nur eben nicht vollreif. Startet der Winzer in einer Parzelle die Weinlese zu spät, kann es passieren, dass sich schon viel Säure abgebaut und sich zu viel Zucker gebildet hat. Das kann zu säurearmen Weinen mit einem hohen Alkoholgehalt und sehr marmeladigen Noten oder Anklängen von gekochtem Obst führen. Der ideale Zeitpunkt für die Weinlese setzt also den Grundstein für einen ausbalancierten Wein.

Blick auf die steilen Weinberge bei Assmannshausen während der Weinlese
Weinberge bei Assmannshausen: Zu steil, um hier mit dem Vollernter zu lesen. © Deutsches Weininstitut

Wie erkennt ein Winzer, dass die Trauben reif sind?

Winzer haben nicht nur eine Methode, um zu beurteilen, ob Trauben bereits reif genug für die Weinlese sind. Tatsächlich stehen ihm da mehrere Sachen zur Verfügung. Am bekanntesten ist wahrscheinlich das sogenannte Refraktometer, mit dem man mittels Lichtberechnung den Zuckergehalt in Grad Oechsle messen kann. Dafür träufelt man einfach ein wenig Saft zwischen die beiden Prismen, einmal durch das Rohr gucken und die Grad Oechsle von der Anzeige ablesen. Fertig.

Reine Zahlen sagen vielleicht etwas über den Zuckergehalt und damit auch den Reifegrad aus, nicht aber über den Geschmack. Deswegen gilt hier: Probieren geht über studieren. Und dabei geht es nicht nur um den Geschmack des Saftes. Der Winzer zerkaut zum Beispiel auch die Beerenschale, um zu prüfen, wie bitter sie noch ist. Genau aus diesem Grund beißt er auch die Kerne durch. Und eh! Die Kerne! Welche Farbe haben sie denn? Sind sie braun, ist die Traube reif. Grüne Kerne sind ein Hinweis darauf, dass die Weinlese noch ein wenig warten kann. Bei einigen Rebsorten startet die Ernte aber auch, wenn die Kerne in der Mitte braun und an den Enden noch grün sind. Je nach gewünschten Säuregehalt. Bei Trauben, die für die Schaumweinproduktion bestimmt sind, ist das zum Beispiel gar nicht so unüblich.

Winzer prüft den Zuckergehalt einer blauen Weinbeere mithilfe eines Refraktometers
Prüfung des Restzuckergehalts mittels Refraktometer. © Deutsches Weininstitut

Weinlese: Maschinell oder mit der Hand?

Das alles hat sich jetzt einfacher angehört als es ist. Manchmal entscheidet nämlich nur ein einziger Tag über Unreife und Überreife. Vor allem bei empfindlichen Rebsorten wie Sauvignon Blanc oder Spätburgunder. Ist der richtige Zeitpunkt für die Weinlese gefunden, steht der Winzer vor der nächsten Entscheidung. Okay, eigentlich hat er diese schon lange vorher getroffen. Nämlich, ob ein Vollernter zum Einsatz kommt – oder ob per Hand gelesen wird. Letzteres entspricht natürlich unserer romantischen Vorstellung von einem handwerklichen Wein. Ersteres ist hingegen wesentlich ökonomischer. Letztlich kommt es immer darauf an, um welche Rebfläche es sich handelt. Für einen Crémant oder ein Großes Gewächs muss zum Beispiel ebenso mit der Hand gelesen werden wie in einer Steillage oder bei einer Einzelpfahlerziehung oder einer sehr engen Pflanzdichte im Weinberg. Gesetzliche Vorgaben, geografische und weinbautechnische Bedingungen spielen hier also immer auch eine wesentliche Rolle. 

Wobei nicht in jedem Weingarten, der sich für eine maschinelle Lese eignet, auch tatsächlich der Vollernter durchfährt. Faktoren für diese Entscheidung sind in der Regel die Größe des Weinguts, die Logistik im Kelterhaus und natürlich die gewünschte Weinqualität. Ein Betrieb mit 10 Hektar Rebfläche hat es mit der Handlese wesentlich leichter als einer mit 40 Hektar. Wenn ein Weingut nur zwei Traubenpressen hat, nützt es wiederum nichts, wenn dank Vollernter Material für sechs Pressen in der Kelterhalle ankommt. Das bringt nur etwas, wenn man auch ein Kühlhaus hat, wo die Trauben frisch bleiben. Wahlweise mit Einsatz von Trockeneis und Schwefeldioxid-Zugabe. Und mal ganz ketzerisch: Für den einfachen Literwein auf Handarbeit zu setzen wäre vielleicht etwas übertrieben. Zumal der Winzer dann auch den Preis gar nicht mehr rechtfertigen könnte. Prädikatsweine wie eine Auslese, Beerenauslese oder Trockenbeerenauslese müssen indes eh zwingend per Hand gelesen werden.

Vollernter im Einsatz während der Weinlese
Hat nichts mehr mit Weinbergsromantik zu tun, ist aber sehr effektiv: Vollernter. © Deutsches Weininstitut

Weinlese: Wann ist die beste Uhrzeit?

Manchmal habe ich während der Weinlese so das Gefühl, dass es unter den deutschen Winzern einen kleinen Wettstreit gibt. Wer postet zuerst eine Story vom Laster, der gerade für den ersten Lesedurchgang vom Hof fährt? Vollernter werden an dieser Stelle übrigens nur selten gezeigt. Aber das nur am Rande. 😉 In der Regel rollen die Transporter zwischen 4 und 6 Uhr in der Früh gen Weinberg. In heißen Regionen wie Saint-Mont oder Madiran im französischen Sud-Ouest oder auch im spanischen Andalusien kann es sogar noch früher sein. Aus Gründen. Denn je wärmer es draußen ist, desto schneller müssen die Trauben ins Kelterhaus kommen. Vor allem bei einer maschinellen Weinlese. Schließlich bleiben da die Trauben nun mal nicht ganz. Ergo: der Saft tritt vorher bereits aus. Und dank weinbergseigener Hefen kann dieser Most bereits vor der Kelter zu gären anfangen.

Wobei auch bei der Handlese bereits Saft austreten kann. Wenn nämlich nicht in Kleinstkisten geerntet wird. Durch das Gewicht der oberen Trauben können die unteren halt auch aufplatzen und frühzeitig und unkontrolliert mit der Gärung beginnen. Um das in beiden Fällen zu verhindern, liest man in den frühen Morgenstunden. Und wenn ein Winzer auf Nummer sicher gehen will, gibt’s für den Weg zur Kelter auch noch ein wenig Trockeneis obendrauf.

Winzer schüttet Trockeneis in einen Bottich mit geernteten Trauben
Trockeneis hält die Trauben frisch und schützt sie vor Oxidation. © Deutsches Weininstitut

Warum behandelt man Trauben bereits vor der Kelter?

Nicht nur Wärme kann ein Feind während der Traubenlese sein. Sondern auch die Luft. Denn es gibt Rebsorten, die sehr oxidationsanfällig sind. Zum Beispiel Sauvignon Blanc und alle Muscat-Varianten. Kommt hier der Saft mit Sauerstoff in Berührung, fangen sie direkt an zu reagieren. Wenn man als Winzer aber einen reduktiven Weinstil plant, also einen, bei dem Sauerstoff während der Vinifikation ausgeschlossen werden soll, dann ist das natürlich kontraproduktiv. Deswegen werden die Trauben bereits vor dem Transport ins Kelterhaus einmal mit Trockeneis behandelt oder aber geschwefelt. Damit sie eben nicht oxidieren.

Der Einsatz von Schwefeldioxid (SO2) kann nützlich sein, wenn die Trauben vielleicht nicht alle ganz so gesund sind. Perfektes Lesegut ist nun einmal nicht die Regel. Vor allem nicht, wenn man nach einem Hagelschlag retten möchte, was noch zu retten ist.

Es sind halt tatsächlich viele große und noch mehr kleine Entscheidungen, die ein Winzer vor und während der Weinlese treffen muss. Genau aus diesem Grund sollte man ihn in dieser Zeit als Weinliebhaber auch einfach in Ruhe lassen. Weinreisen in die Region deiner Wünsche sind zu dieser Zeit vollkommen in Ordnung. Nur solltest du nicht die Erwartung haben, dass der Winzer auch persönlich für dich Zeit hat. Und über eine Voranmeldung ist jedes Weingut mehr als dankbar. Denn in der Hochphase kann es sein, dass auch die Mitarbeitenden der Vinothek im Weinberg mit der Leseschere in der Hand anzutreffen sind. 😉

Copyright Titelbild: © Deutsches Weininstitut 

*Dieser Text wurde weder beauftragt noch vergütet. Er erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und spiegelt ausschließlich meine eigene Meinung wider. Gesetzte Links sind nicht kommerziell, sondern dienen alleine Servicezwecken.

Kommentar verfassen